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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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dass das womöglich einzigartige Ergebnis ihrer Niederlage gegen die Alliierten im Zweiten Weltkrieg der Umstand ihrer nachfolgenden Teilung war. Für kurze Zeit, bevor das Land 1946 in Ost und West geteilt wurde, wurde es gar geviertelt, wobei ein kleiner Splitter aus irgendeinem Grund an die Franzosen ging. Und Berlin! Berlin selbst war das Spiegelbild des gespaltenen Ganzen und auf ebenso zänkische Weise (verzeih mir, wenn du das alles schon wusstest) geviertelt. Dieses Stückwerk von Stadt wurde dann inmitten der nun etablierten Sowjetzone im Stich gelassen. Klar, wir könnten Deutschland auch als Land »in Scheidung« betrachten. Die »Scheidung« Deutschlands führte zu einem »geteilten Sorgerecht«, wo mehrere monolithische Elternmächte dazu da waren, auf Erwachsenenart Streitigkeiten zu schlichten, die auf absurde Weise ihren widerstreitenden nationalen Interessen und etablierten Ideologien widersprachen. Und so wurde der Krieg sehr kalt, und Anstand war unmöglich, und die Mediation führte zu einer Art skurriler und feindseliger elterlicher Vereinbarung (siehe Potsdam), wonach die Eltern beschlossen, die Kinder aufzuteilen, wobei sich ein Kind nach Westen trollte und das andere mit einigem natürlichem Widerwillen ostwärts.
    Also wurde Deutschland geteilt, und Berlin wurde geteilt, und für eine Weile waren alle ausschließlich damit beschäftigt, nach vorn zu schauen und wiederaufzubauen und zu vergessen. (Zerstörte Häuser, zerstörte Menschen, ein halb zerstörtes Volk, aufgestapelt wie Holzplanken unter der schwarzen Erde.) Relativ bald, aus Gründen, auf die ich hier nicht weiter eingehen möchte, hauptsächlich, weil ich sie nicht kenne, breitete sich in Ostdeutschland die Mangelwirtschaft aus, und die Menschen dachten an nicht viel mehr, als an ein Stückchen Butter oder vielleicht an eine Banane oder Ähnliches zu kommen. Nachdem sie das ausprobiert hatten, verloren viele Ostdeutsche natürlich den Glauben an den Sozialismus. Es lag auf der Hand, dass Westberlin einfach zu nah dran war. In Ostberlin zum Beispiel konnte man den Duft von gebuttertem Toastbrot riechen, der aus den Wohnhäusern entlang der Bernauer Straße herüberwehte. Als im Jahr 1961 nicht mehr zu übersehen war, dass die DDR-Regierung an einer Lösung arbeitete, der Flut von erschöpften Ostberlinern Einhalt zu gebieten, die es nach Westberlin und in die Demokratie zog, kam das Gerücht eines tatsächlichen Mauerbaus auf. Der DDR-Staatsratsvorsitzende und erste Mann im Zentralkomitee der SED, Walter Ulbricht (1893–1973), reagierte auf die Frage eines Reporters nach den Gerüchten mit dem, wie du vielleicht weißt, legendären Satz: »Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten!«
    Doch genau das taten sie. Eine Fertigbau-Betonkonstruktion aus großen, verstärkten Spannbetonplatten. Anders als andere große Mauern (China, Türkei) verwandelte sich diese über die Jahre in etwas wahrhaft Undurchdringliches mit allerhand innovativen Erweiterungen: Schweinwerfern, Panzergräben, Wachttürmen und sogar Hundezwingern. Die Mauer war nicht nur eine Mauer, sondern ein breiter Streifen versengtes und saubergefegtes Land, auf dem verzweifelte Flüchtlinge leicht ins Visier genommen werden konnten.
    Doch die Ostberliner ließen ihren Widerstandsgeist nicht fahren. Die Undurchdringbarkeit der Mauer weckte in den Menschen den umso stärkeren Wunsch, sie zu überwinden. Nirgends in der Geschichte der Unterdrückung haben wir so viel Kreativität gesehen wie beim Überqueren der innerdeutschen Grenze. Zwischen August 1961 und November 1989 unternahmen Tausende von wagemutigen DDR-Bürgern den Versuch, Geschichte zu schreiben, indem sie sich auf jede erdenkliche Weise über diese Grenzmauer katapultierten. Einige Highlights gefällig? 1965: Ein Leipziger Ingenieur wirft eine beschwerte Perlonschnur vom Dach eines Ostberliner Ministerialgebäudes und schickt seine Familie nacheinander an dieser improvisierten Seilbahn hinunter auf Westberliner Boden. 1968: Bernd Böttger aus Sebnitz befestigt einen Hilfsmotor an einer Boje und erfindet damit den ersten »Aquascooter« der Welt, von dem er sich mit beklagenswerten fünf Kilometern pro Stunde durch die Ostsee ziehen lässt. (Er überlebt. Ich erzähle dir hier nur von den Überlebenden.) Oder wie wär’s mit dem hier aus dem Jahr 1975, kurz nachdem die DDR-Regierung in Helsinki einen Pakt unterschreibt, der seinen Bewohnern Reisefreiheit zuspricht: Zwei Brüder aus Westdeutschland bauen

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