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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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Canadian Club auf Eis. Und für meine Tochter zwei Hotdogs und ein Shirley Temple. Stimmt’s, Mäuschen?«
    Der Barmann sah Meadow an. »Wie viele Kirschen möchte die junge Dame denn in ihrem Shirley Temple haben?«, fragte er und schenkte mir einen großzügigen Drink ein. Die Eiswürfel knackten wie trockenes Holz im Ofen.
    Meadow wurde rot und versteckte ihr Gesicht an meinem Arm.
    »Na, komm schon«, sagte ich, »und sag dem netten Mann, wie viele Kirschen du willst. Sie fremdelt immer ein bisschen.«
    »Du kannst so viele haben, wie du willst«, sagte der Barmann.
    Meadow hielt sechs Finger hoch.
    »Sechs Stück!«, rief der Barmann laut. »Mehr nicht?«
    Meadow nickte.
    »Eine für jedes Jahr«, sagte ich.
    »Du bist sechs ?« Der Mann beugte sich vor Meadow über den Tresen, und sein riesiger Mund wirkte im Deckenlicht noch größer. »Na, dann kennst du dich ja bestimmt schon gut aus in der Welt, oder? Schon mal von der Schwerkraft gehört? Vom Finanzamt?«
    Wieder vergrub Meadow ihr Gesicht in meinem Arm. Der Barmann lachte in sich hinein und griff nach einem großen Trinkglas. Ich drückte ihr die Schulter und langte mit der freien Hand nach meinem Glas, um einen großen Schluck zu nehmen. Canadian Club hat einen leicht süßlichen Geschmack, aber irgendwie hatte ich mich daran gewöhnt und konnte nichts Trockeneres ertragen.
    »Lustig hier, was?«, sagte ich zu Meadow. »Ist doch zum Piepen, der Laden hier, oder?«
    Ich drehte mich um und ließ meinen Blick durch den Raum wandern. Die Frau im Separee hatte ihren Taschenspiegel zugeklappt und schien mir irgendwie zuzuzwinkern. Ich lächelte zurück, aber sie stand auf und ging. Ich versuchte nicht auf ihre blonde Puschelfrisur zu starren, als sie im Spiegel hinter dem Tresen vorbeiwippte.
    »Zähl du mal deine Kirschen, Herzchen«, sagte der Barmann in dem Moment zu Meadow und schob ihr ihren Shirley Temple hinüber. »Trau niemandem über zwölf. Nach zwölf hörst du nämlich nur noch Lügen. Schon mal was gehört von Area 51? Von Roswell?«
    Wieder beugte sich der Barmann über den Tresen und lächelte forsch. Ein Ausdruck von Ironie lag auf seinem breiten Gesicht. Er sah aus, als wartete er darauf, dass etwas Unabsehbares geschah.
    Es gibt Augenblicke – ich sage es ungern –, in denen die Loyalität eines Vaters die Seiten wechselt und er einfach nur von einem anderen Erwachsenen gemocht werden will. Selbst die besten Eltern mit den ausgezeichnetsten Erziehungsmethoden können manchmal nicht anders, als sich auf die Seite ihresgleichen zu schlagen, auf die Seite derjenigen, bei denen es mit dem Leben schon wieder bergab geht, und dann treibt sie etwas dazu, sich gegen jemanden, der noch jung ist, zu verbünden, denn es ist unmöglich, diesen Instinkt vollkommen außen vor zu lassen, dieses Protzen mit der hart erkämpften Lebenserfahrung.
    »Und?«, blaffte der Barmann. »Hab ich dich betrogen?«
    »Hat er dir sechs Kirschen gegeben?«, fragte ich aufmunternd. »Oder hat er dir eine geklaut?«
    »Ich bin die Unschuld selbst«, sagte der Barmann. »Die lässt man sich übrigens nur einmal klauen.«
    »Ha.« Ich stupste sie mit dem Ellenbogen an. »Was sagst du, Zuckerschnecke?«
    Jetzt starrte Meadow in ihr Getränk und rührte mit ihrem Strohhalm darin herum.
    »Hat’s dir die Sprache verschlagen?«
    »Danke«, murmelte sie.
    »Sie spricht!«, sagte der Barmann.
    »Sie ist immer erst etwas schüchtern«, erklärte ich.
    »Nein, sie ist schlau. Sie weiß genau, dass sie einem Kerl wie mir nicht trauen kann. Hier. Ich hab was, das wird sie zum Lachen bringen.« Er griff unter den Tresen und holte einen kleinen Aufziehfrosch mit einem silbernen Schlüssel im Rücken hervor. Dann drehte er den Schlüssel und stellte das Spielzeug auf den Tresen. Der Frosch machte einen Rückwärtssalto und landete wieder auf den Füßen. Meadow betrachtete ihn.
    »Gefällt er dir?«
    »Sag was zu dem Mann, Hase«, sagte ich und nahm einen Schluck.
    »Na? Hier, ich schenk ihn dir«, sagte der Barmann. »Meine Kinder sind alle erwachsen, von denen krieg ich nicht mal mehr ein müdes Lächeln. Ich sag Ihnen, Sie haben noch ungefähr sechs Jahre Zeit, und dann redet sie kaum noch ein Wort mit Ihnen. Na ja. Macht ihr hier in North Hero Station?«
    »Leider nein. Wir sind nur auf der Durchreise. Wir sind auf dem Weg nach Mount Washington.«
    »Na, der ist sicher ’ne Reise wert.«
    »Wir machen eine kleine Tour. Stoppen mal hier und mal da. Nur wir beide, Vater und

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