Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
Vom Netzwerk:
steif, so« – meine Stegreifpantomime brachte sie zum Lachen –, »und irgendwann passiert mit der Leiche dasselbe wie mit der Mandarine.«
    »Sie wird steif, und dann wird sie matschig.«
    »Ja«, sagte ich. »Alles, was stirbt, wird irgendwann matschig.«
    Ihre Augen wurden groß. »Sogar wir auch?«
    »Ja«, sagte ich. »Sogar wir werden eines Tages matschig. Alles, was lebt, wird sterben. Es ist wichtig, das von vornherein einzusehen. So spart man sich eine Menge Rennerei.«
    Als wir im Garten den toten Fuchs fanden, schien er mir gut geeignet als Anschauungsobjekt, um das Mandarinenthema zu vertiefen. Wir legten ihn in eine alte Milchkiste und stellten ihn respektvoll hinter dem Rasenmäherschuppen ab. Und wir beobachteten ihn, Tag für Tag, wie sein Fleisch von der Sonne weggebrannt wurde und wie es in unendlich kleinen Stückchen von den Fliegen abgetragen wurde, und wie er vom Wind aus der Form geblasen wurde, bis er nur noch ein Teppich aus kupferfarbenem Fell war und zurück in die Erde sank. Wir verbrachten Stunden damit, dem Fuchs beim Verwesen zuzusehen. Ich weiß, es klingt schräg, aber zu der Zeit fühlte es sich nicht schräg an. Ich hielt den Fuchs vielmehr für einen beträchtlichen pädagogischen Erfolg. Was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, denn für dich, ihre Mutter, die durch den sich zuspitzenden Ehekonflikt bereits ziemlich dünnhäutig war, war es der Fuchs, der das Fass zum Überlaufen brachte.
    »Ich muss mit dir reden«, sagtest du eines Morgens mit steinernem Blick.
    Wir saßen beim Frühstück. Es war ein Samstag im Frühsommer. Dein erstes Jahr an der Schule war fast geschafft, und während wir uns eigentlich auf den gemeinsamen Sommer hätten freuen müssen, lag über den Tagen ein Hauch von Gefahr, den ich mir nicht ganz eingestehen konnte. Die Wochenenden waren zur Strapaze geworden. Du hast mich immer lange schlafen lassen. Und wenn ich aufgewacht war, machtest du dich fertig, um joggen zu gehen. An diesem Morgen, an den ich mich erinnere, hatte Meadow dir wohl von einigen unserer neueren Experimente erzählt, als ich noch im Bett lag.
    »Meadow«, sagtest du und tipptest ihr aufs Bein. »Gleich kommt Dora . Du kannst Dora gucken gehen, und Papa und ich nehmen uns ein bisschen Zeit für uns.«
    Ich feixte. Zeit für uns klang schon so sehr nach Strafe, ich konnte es mir kaum anhören, ohne zu lachen. Inzwischen strotzte deine Sprache nur so vor Institutionalisierungen. Ich sah Meadow dabei zu, wie sie sich den Mund abwischte, sich vom Tisch wegdrückte und ihre in drei Zentimetern Milch gequollenen, rohrzuckergesüßten runden Frühstücksflocken stehenließ. Kaum dass sie weg war, beugtest du dich vor.
    »Was tust du?«
    »Ich frühstücke.«
    »Was bezweckst du damit, tote Tiere zu sammeln? Wie zum Teufel kommst du darauf, dass das eine gute Idee ist? Was willst du? Dass sie eine zweite Wednesday Addams wird?«
    »Witzig, Laura.«
    »Es ist nicht witzig. Es steht mir bis hier .«
    »Was steht dir bis hier? Das ist der Lauf der Natur. Der Tod ist etwas Natürliches. Sie hat keine Angst davor. Es macht sie klüger.«
    »Sie soll nicht klug sein. Sie soll drei Jahre alt sein und albern sein und lachen und sich keine Sorgen machen.«
    »Na ja, sie hat gefragt.«
    »Das glaub ich dir nicht«, sagtest du. »Das ist das Problem. Ich glaube dir nicht mehr. « Du drücktest beide Hände gegen deine Stirn. »Ich glaube dir nicht mehr. Ich trau dir nicht. Hilf mir , Eric.«
    Ich saß da und wünschte, mir fiele etwas ein, eine angemessene Bestrafung wie damals in der Grundschule in Dorchester, wenn wir frech waren und unser Vergehen endlose Male zu Papier bringen mussten, bis wir zahllose Seiten mit unserem Sinnspruch gefüllt hatten.
    Ich habe geschubst.
    Ich habe geschubst.
    Ich habe geschubst.
    Ich habe geschubst.
    Ich habe geschubst.
    Ich habe geschubst.
    Wir schrieben, bis uns die Hände abfielen, und dann waren wir vollkommen geläutert, bereit für einen Neuanfang, bereit, niemals wieder denselben Fehler zu machen.
    Ich blickte hoch und sah, wie dir die Tränen übers Kinn liefen, und du ließt es einfach geschehen. Du spieltest mit dem Henkel deiner Kaffeetasse.
    »Bitte nicht weinen, Laura. Es war nur ein totes Tier.«
    »Nein«, erwidertest du. »Eben nicht.«
    »Ich weiß nicht genau, was du willst«, sagte ich. »Was ich dir auch wirklich geben kann.«
    »Ich will wissen, wie das passieren konnte. Warum wir so verschieden geworden sind. So gegensätzlich. Wie diese

Weitere Kostenlose Bücher