Schroders Schweigen
werden.«
»Warum?«
»Warum?« Frustriert griff ich mit beiden Händen in die Luft. »Warum? Was ist los mit dir? Findest du es etwa nicht schön, mal in den Arm genommen und geküsst zu werden? Findest du es nicht schön, wenn hin und wieder jemand ganz lieb zu dir ist, ich oder deine Mutter oder Omi oder Opi oder deine Schnuffeldecke?«
Ich sah, wie ihre Erinnerung an den Wörtern hängenblieb, und postwendend traten ihr die Tränen in die Augen.
»Oh nein«, sagte ich und packte ihre Hände. »Oh Mann. Ich wollte dich jetzt nicht –«
»Ich vermisse meine Mama«, sagte sie, und ihre Tränen fielen auf den Tisch. »Ich vermisse Omi und Opi. Ich mag diese Ferien nicht mehr. Mount Washington ist mir schnurz. Ich will da nicht mehr hin. Ich will da nicht mit dir hin. Du bist nicht gut.« Missbilligend sah sie mich an. »Du bist nicht gut! Du hast gesagt, dass du gleich wieder da bist! Dass ich nicht alleine sein würde!«
»Ach, Meadow. Bitte –«
»Und warst nirgendwo! Du warst weg .«
Sie entriss mir ihre Hände und wischte sich über die Augen. Sie stand auf und ging hinaus. Das Knallen der Hüttentür hallte durch die Bucht. Ich schnappte mir Brieftasche und Schlüssel und lief ihr nach. Sie trug, etwas mühsam, den Eimer mit dem Frosch.
»Hey«, sagte ich und holte sie ein. »Ich helf dir. Sag mir, was hast du vor. Erzähl. Was machen wir?«
Sie ging einfach weiter, die Augen gerötet, aber trocken. Ich warf einen Blick in den Eimer. Der Frosch trieb in fünf Zentimetern Wasser und hatte alle viere von sich gestreckt. Meadow hatte etwas Hühnerstalldraht über den Eimer gespannt, um seine Flucht zu verhindern, aber für meine Begriffe sah er mehr oder minder tot aus. Ich nahm den Griff, wobei ich darauf achtete, nur ja nicht ihre Hand zu berühren. Wir erreichten die Wiese, die wir vor ein paar Tagen überquert hatten, sie oben auf meinen Schultern. Diesmal gingen wir am Rand entlang, vorbei an den spärlich verdunkelten Fenstern des Farmhauses unserer Wirtin. Bald waren wir auf dem richtigen Feldweg angelangt und marschierten bergauf. Hinter einem Elektrozaun standen Kühe, die uns nachsahen. Ich war überrascht, wie schnell Meadow ohne Pause laufen konnte und wie weit. Hinter einigen Wirtschaftsgebäuden auf der Hügelkuppe begann die Straße wieder abzufallen, und auf einer Wiese unter uns kam ein Teich in Sicht.
»Gut«, sagte Meadow, als habe sie damit gerechnet. »Da setzen wir ihn aus. Dann hat er den ganzen Teich für sich und kann seine eigene Familie gründen.«
»Oder er kann Dichter werden und ein Buch namens Das Kommen und Gehen der Frösche schreiben.«
»Nein«, sagte sie, und ihre Augen wurden schmal. »Er findet Gedichte schrecklich. Genau wie alle Frösche. Amphibien sind allergisch gegen Gedichte.« Sie machte ein paar Schritte und sah mit steinerner Miene zu mir hoch. »Du darfst mit. Aber du darfst ihn auf keinen Fall mit trockenen Händen berühren. Sonst stirbt er.«
Ich machte einen Kniefall. »Hase«, sagte ich. »Wenn wir wieder an der Hütte sind, können wir unsere Sachen packen, und wenn du willst, fahre ich dich sofort nach Hause zu Mama. Ich will, dass du glücklich bist. Ich will nicht, dass du böse auf mich bist. Du musst es nur sagen.«
Sie schwieg, doch ihre Augen nahmen einen nachsichtigen Ausdruck an, und schließlich wischte sie sich mit dem Ärmel ihres viel zu großen Sweatshirts über die Stirn. Sie zerrte an dem Eimer.
»Komm jetzt«, sagte sie, und wir gingen weiter in Richtung Teich, über dem sich die Sonne allmählich durch die Wolkendecke brannte.
MANDARINE UND FUCHS
Hör zu. Ich sehe mich nicht als irgendein Sokrates, aber meiner Meinung nach ist es unfair, ein Kind vor seiner natürlichen Neugier zu bewahren. Manche Kinder – Kinder wie Meadow – stellen gern schwierige Fragen, ob man nun darauf vorbereitet ist oder nicht. Zum Beispiel das mit den Mandarinen. Zu Hause in Pine Hills in der Obstschale entdeckte sie eine vergessene Mandarine, die ausgetrocknet und hart geworden war, und sie wollte wissen, was als Nächstes damit geschieht. Würde die Mandarine immer weiter schrumpfen und sich am Ende in Luft auflösen? Wir beobachteten sie. Wir bemerkten, dass die Mandarine, etwa sieben Tage nachdem wir eine Verhärtung beobachtet hatten, aufzuweichen begann.
»Verwesung«, sagte ich. »Die Umkehr von Wachstum. Aber erst muss das Tote austrocknen. Wie bei der Leichenstarre.«
»Leichenstarre?«
»Genau. Wenn jemand stirbt, wird er erst
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