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Schroders Schweigen

Schroders Schweigen

Titel: Schroders Schweigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amity Gaige
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Meadows forschendem Blick. Schließlich drehte Meadow ihren Kopf weg und tat, als starrte sie in die Landschaft. April drehte das Radio lauter. »Und ich hab auch nicht gesagt, dass das Haus mir gehört. Es gehört meinem Cousin. Es ist eine einfache Hütte in der Nähe von Ragged Mountain.«
    »Nein, hör zu. Ich will nicht, dass noch jemand mit reingezogen wird.«
    »Mein Cousin ist nicht da. Das ist ’ne lange Geschichte, aber sagen wir einfach, er ist gerade in Georgia. Ich schau dort nur hin und wieder nach dem Rechten.«
    »Besser wäre ein Motel. Du kannst uns an irgendeinem Motel absetzen.«
    »Jetzt mal langsam. Bei meinem Cousin im Haus seid ihr für euch. Du kannst ihr was Richtiges kochen, und dann kannst du drüber nachdenken, wohin du als Nächstes willst. Nur bleiben kannst du nicht, da nicht und auch nicht woanders, das will ich damit nur sagen. Falls dir vorschwebt, weiterhin auf der Flucht zu sein. Mit ihr oder ohne sie. Gibt ja jede Menge Leute da draußen, die so leben.« Sie senkte die Stimme und flüsterte: »Herrgott noch mal. Ich werd dir nicht sagen, was du zu tun hast. Aber sie schon. Guck sie dir doch an.«
    Das tat ich. Meine Tochter hatte die Arme um ihren orangefarbenen Eimer geschlungen. Ihr Mund war zu einem gequälten Lächeln verzogen, und ich konnte regelrecht mithören, wie sie sich wilde Versprechungen machte. Weiße Haarsträhnen flatterten aus dem Fenster, wodurch sie etwas Skurriles, Mythisches bekam. Ist es das hier, dachte ich, ist es das , was ich wollte? Dieses zerknitterte, sandige Kind mit einer ungewöhnlich hohen Toleranzgrenze angesichts der verstörenden Wendungen des Schicksals? Mit Gewissensbissen erkannte ich, dass ich nur darauf gewartet hatte zu sehen, ob sie dazu in der Lage wäre, ob sie die Fähigkeit haben würde, die Welt, wie ich sie sah, zu tolerieren – ein Durcheinander, ein willkürliches und katastrophales Durcheinander –, und ob sie in der Lage wäre, diese Welt zu ertragen. Und da saß sie nun und ertrug sie, die Dritte im Bunde der Vermissten, auf der Rückbank, wo sie in gewisser Hinsicht auch für immer bleiben würde, oder? Denn würde ihre Vertrautheit mit Leuten wie mir oder April sie später, wenn sie älter wäre, nicht in eben deren Arme treiben, magisch angezogen von einem Leben auf Reisen in VW-Bussen und Beiwagen, auf ewig am Rand der Dinge entlang, bis sie sich am Ende bei den Freaks und Exzentrikern wohler fühlen würde als bei der breiten Masse? Mich schauderte, und zum ersten Mal empfand ich bittere Reue, und mich überkam die Einsicht, dass dieser Sieg der falsche Sieg war, dass du doch recht gehabt hattest .
    Am späten Nachmittag kamen wir nach St. Johnsbury. April hielt vor einem Café gegenüber einer weißen neuenglischen Privatschule und ging mit Meadow dort auf die Toilette. Es war Schulschluss, die Schulbusse standen in einer Reihe auf der Straße, und langsam stellten sich die Eltern der Kinder ein.
    Ich saß da und beobachtete das Eintreffen der Eltern. Einige steckten in schlammiger Arbeitskleidung und hatten Truckermützen auf dem Kopf. Ein paar Frauen waren sichtlich schwanger. Sie standen beieinander und tuschelten. Ich ließ das Fenster runter und bemühte mich, nicht hinzustarren.
    Im Fenster des Cafés blitzte ein weißer Haarschopf auf. Meadow hatte sich umgedreht und unterhielt sich im Innern des Cafés mit jemandem, den ich nicht sehen konnte. Vielleicht mit einer Bedienung? Sie nickte. Was hatte man sie gefragt? Sie streckte die Hände aus und nahm etwas entgegen.
    Sag es, dachte ich. Los jetzt, sag, was immer sie dir beibringen, um deine Haut zu retten.
    Dann erschien April im Fenster, lächelte mit frisch aufgetragenem Lippenstift, scherzte, erklärte und schob Meadow weiter. Kuhglocken bimmelten. Ein Mann auf der Straße schob seine Kappe zurück, und da tauchte meine Tochter auf, mit einem Donut in der Hand.

RAGGED MOUNTAIN
    Es war bereits dunkel, als wir die Hütte erreichten. Im Scheinwerferlicht sah es aus, als hätte jemand in den übelsten Sozialbauten Dorchesters eine Wohnung abgetragen und sie Betonblock für Betonblock mitten auf einer Wiese in New Hampshire wieder aufgebaut, um anschließend einen pyramidenartigen Berg Erde darüberzukippen. Knirschend hielt das Auto vor dem Haus, und die angespannte Stille zwischen uns nahm eine neue Qualität an. April schob den Schaltknüppel in Parkstellung, nahm einen Lippenstift aus ihrer Tasche und fuhr sich damit mehrmals über die Unterlippe.
    »Tja«,

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