Schroders Schweigen
müsse ich gleich noch ein paar Unterlagen für das Krankenhaus ausfüllen. Ich sei nicht krankenversichert, sagte ich, aber das ginge schon in Ordnung, ganz bestimmt. Er sagte, das könne ich gleich alles mit der Klinik regeln.
Endlich ließ er mich gehen.
Aufgewühlt kehrte ich ins Zimmer zurück. Dort blieb ich wie angewurzelt stehen. Meadow war wach. Die rosa gekleidete Schwester beugte sich über sie, nachdem sie ihr gerade die Brille wieder auf die Nase gesetzt hatte. Meadow saß jetzt aufrecht in ihrem mechanischen Krankenhausbett und strahlte vor wiedergewonnener Sehkraft.
»Papa!«, flüsterte sie.
Ich ging hinüber zum Bett und umfasste ihr dünnes Ärmchen, das vor dem weißen Bettzeug braun aussah. Ich hätte heulen können. Ich hätte jahrelang heulen können.
»Lieber Gott, ich freu mich ja so, dich zu sehen«, sagte ich.
»Ich freu mich auch, Papa.«
Ich schüttelte sinnloserweise die Kissen unter ihrem Kopf auf. Ich rückte an sie heran, Stirn an Stirn.
»Gut«, sagte ich. »Es ist alles gut.«
»Gut«, sagte sie heiser.
»Gut.« Schließlich lachte ich. »Wie wunderbar.«
Auch die Schwester lachte. »Ja, wunderbar«, sagte sie. »Einfach wunderbar.« Sie suchte ihre Instrumente zusammen. »Meadow hat gerade schon nach ihrem Papa gefragt.«
Ich fuhr zurück und blickte nun mit festgefrorenem Lächeln die Schwester an.
»Na, hier bin ich doch«, sagte ich nach einem langen Augenblick.
»Hab ich doch gesagt«, bestätigte die Schwester.
»Hast du doch gesagt«, murmelte Meadow und schmiegte sich mit beiden Wangen in ihr Kopfkissen.
Dann sagte ich mit halb erstickter Stimme: »Ich würde dich niemals verlassen.«
»Das weiß ich«, sagte Meadow. Sie hob den Arm. »Guck mal, ich hab ein Armband.«
Als die Schwester an mir vorbeiging, packte ich sie fester an der Schulter, als ich eigentlich wollte. Ihr Blick flackerte unruhig.
»Entschuldigung«, sagte ich und wich zurück. »Mein Gott, tut mir leid, ich wollte Sie nicht so … anlangen .«
Sie lächelte. »Wollen Sie jetzt sofort gehen?«
»Ginge das denn?«
»Ich ruf Ihnen jemand. Okay?«
»Okay, klar. Wen denn?«
»Na ja, ich muss kurz mit der Ärztin sprechen. Wir wollen sehen, ob die Ärztin noch einen Blick auf sie werfen kann. Einverstanden?«
»Ja, unbedingt. Großartig. Das heißt, Sie fragen jetzt bei der Ärztin nach?«
Die Frau sah mich über ihre Schulter hinweg an und verließ mit großen Schritten den Raum. »Aber sicher.«
Ich wandte mich erneut meiner Tochter zu, die mit den Fingern durch die Luft spazierte, die Wangen hochrot wie bei einem Mädchen aus einem Kindermärchen. Ich ging zur Tür und sah in den Flur, nach links und nach rechts. Kein eiliges Hin und Her, kein Notfall, in der Nähe nur die Aufnahmeschwester, die unter ihrem Lichtkegel saß und Unterlagen sortierte. In den Fenstern nach Osten wurde es hell. Ein verhaltenes Licht. Geh rein und schnapp sie dir, dachte ich, und lauf. Oder lauf selbst. Jetzt. Da ist die Treppe. Da ist der Fahrstuhl. Sie hat ihren Namen gesagt. Sie hat ihren richtigen Namen gesagt. Ich ging zurück ins Zimmer. Meadow nuckelte ihren Apfelsaft durch einen gedrehten Trinkhalm, mit dem Handgelenk hing sie am Tropf. Lieber Gott, dachte ich. Noch zehn Minuten, dann sind wir hier raus. Im kindgerechten Kleiderschrank entdeckte ich in einem weißen Plastikbeutel ihre Sachen. »Runter, hopp«, sagte ich und riss die Decke vom Fußende des Bettes. Gleichgültig ließ sie es geschehen, dass ich ihr die lilafarbene Jogginghose unter das geblümte Krankenhemd zog. Und dann hielt ich inne. Das Gebläse unter dem Fenster sprang an und entließ trockene, heiße Luft ins Zimmer. Ich nahm sie nicht hoch, und ich lief nicht weg. Ich lief auch nicht allein weg, ganz der eigennützige Überlebende, der perfekte Verbrecher. Stattdessen setzte ich mich hin. Meine alternden Knie knirschten. Der Junge auf der anderen Seite des Vorhangs seufzte im Schlaf.
»Meadow«, sagte ich. »Gib mir deine Hand.«
Sie gehorchte. Die Hand war klein und dunkel und irgendwie kalt.
Ich drückte sie mir gegen die Wange. Immer wieder nickte Meadow kurz ein.
Ich weiß nicht, wie viel Zeit verging. Fünfzehn Minuten. Fünfzehn Jahre.
In der Tür stand jemand und räusperte sich. Ich musste mich gar nicht umdrehen, ich wusste auch so, wer es war. Der Typ war die reinste Klette. Bemüht, meine sichtlich unfreundliche Miene abzulegen, sah ich ihn über meine Schulter hinweg an.
»Ich hatte gehofft, Sie sind die
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