Schroders Schweigen
Bitte. Ich kann nichts sehen.«
»Sieht mir aber nicht danach aus.«
»Wir müssen ins Krankenhaus.«
Mit der Taschenlampe leuchtete er in Meadows Gesicht. »Ist sie bei Bewusstsein?«
»Ja. Wir wollen nur –« Ich wollte mich an ihm vorbeischieben, dem hellen Gebäude entgegen, das zu flackern und Signale an uns auszusenden schien. »Bitte! Lassen Sie uns weiter.«
Der Mann guckte überrascht. Warum wollte er uns nicht gehen lassen? War mir denn nicht klar, dass er hier war, um zu helfen? Sein Pulsschlag zuckte unter der glattrasierten Haut vor seinen Ohren.
»Wie wär’s damit?«, sagte er. »Steigen Sie ein. Sie sieht nicht gut aus.«
»Nein danke.«
»Nun kommen Sie endlich. Rein mit Ihnen, Sir. Sie sieht nicht gut aus.«
»Sie hat Asthma. Es ist nur ihr Asthma. Aber es hört nicht auf.«
Dann saßen wir hinten im Wagen. Die Fahrt im Polizeiauto schien auf Meadow kurzzeitig belebend zu wirken, und sie krallte sich in das schwarze Gitter.
»Staniford in südliche Richtung zum Mass General«, sagte der Cop in sein Funkgerät. »Wir haben hier eine minderjährige Person, sieben bis acht Jahre alt –«
»Wir haben ihren Inhalator nicht dabei«, sagte ich. »Sie kriegt keine Luft.«
»Die Person benötigt eventuell Sauerstoff.«
Ruckartig ließ sich Meadow in meinen Schoß fallen. Ich erschrak dabei fürchterlich, so endgültig war die Bewegung. Sie murmelte etwas vor sich hin.
Ich beugte mich zu ihr hinunter. »Was hast du gesagt, Kleines? Was hast du gesagt?«
»Du bist mein Zuhause«, sagte sie deutlich.
»Ach. Ach, Hase. Was meinst du denn damit?«
»Du bist da, wo ich wohne, du und Mama.«
»Ach so. Gut. Versuch jetzt, nicht zu reden.«
Sie fing an zu weinen. Ein hohes, leicht schnarrendes, luftloses Weinen.
»Muss ich jetzt sterben?«
»Bitte, Meadow! Es tut mir doch leid!«
»Muss ich, Papa?«
»Jetzt sag so was nicht.«
Sie machte die Augen zu.
»Sie hat die Augen zugemacht«, sagte ich zu dem Polizisten.
»Gleich da«, entgegnete er.
»Sie stirbt! Fahren Sie schneller!«
»Wir sind gleich da, Sir.« Er riss sein Funkgerät vom Armaturenbrett. »22 an Zentrale. Wir sind am Mass General, Eingang Blossom Street. Ich wiederhole, Eingang Blossom Street …«
Sie mussten meine Hände mit Gewalt von ihren Schultern losmachen. Ich hatte sie zu sehr durchgeschüttelt. Sie wurde jetzt sehr schnell auf dem Rücken liegend durch den Korridor gefahren. Sie wollten mich abhängen. Das ließ ich aber nicht zu. Sie begriffen es nicht. Niemals würde ich sie sterben lassen. Ich hatte eine Ecke der Liege in der Hand. Ich wollte beim Schieben helfen, aber im gleichen Moment stürzte ich, ich stürzte ins Nichts. Der Polizist trabte neben mir her. Alle rannten.
»Ich lass sie auf keinen Fall aus den Augen«, sagte ich zu dem Polizisten, der immer noch dabei war und jetzt wie jemand wirkte, mit dem man reden konnte.
»Niemand will sie Ihnen wegnehmen, Sir«, sagte er.
»Dazu müssen sie mich erst umbringen.«
»Niemand will hier was, außer ihr helfen. Beruhigen Sie sich.«
»Kommen Sie hier lang«, sagte eine der Schwestern, dieselbe, die Meadow die Maske aufs Gesicht drückte, und sie bog abrupt in ein helles Zimmer, und mein Kind wurde in das erstaunliche Licht geschoben.
DIE PÄDIATRIE
In einem Krankenhaus wird es niemals dunkel. Niemals vollkommen dunkel. Die Zeiger der Uhr rücken weiter; es wird Nacht. Tabletts werden durch das Nichtdunkel gebracht und wieder weggetragen, und es herrscht Nichtstille – das Piepen, das Quieken, das Keuchen der Atemgeräte. In der pädiatrischen Abteilung kommt das Zubettgehritual sofort nach dem Nachmittagssnack. Ein Kind im Strampler bleibt draußen vor der Tür stehen, putzt sich nachdenklich die Zähne und starrt vor sich hin … Schaudernd ließ ich den Kopf in die Hände sinken. Wenn ich mich ruhig verhielte, wenn ich mich sehr ruhig verhielte … In unserem Zimmer lag ein Junge, der noch keinen Besuch hatte. Er schlief verpackt unter seiner Bettdecke, das dunkle, makellose Gesicht vom Kissen umrahmt wie von gekräuseltem Wachspapier. Er wirkte so ganz und gar allein. Aber nicht ich konnte über ihn wachen. Wäre eine Sylphe an die Tür geschwebt, ich hätte zu ihr gesagt: Nimm ihn . Nimm ihn !
Schon einige Male hatten wir so dagesessen, die ganze Nacht an der Bettkante, geknebelt vor Sorge, hatten jenes unfassbare Intervall gemessen zwischen dem Anruf beim Kinderarzt und der Zeit des Wartens. Wenn Kinder Fieber haben. Wie heiß sie immer
Weitere Kostenlose Bücher