Schröders Verdacht - Der Italien-Thriller (German Edition)
Boden."
"Hier steht was von den siebeneinhalbtausend Tonnen Jahresproduktion allein 1980 in der BRD. Ein Drittel im Land verblieben. Davon die Hälfte im Bergbau als Hydrauliköl eingesetzt. Der Rest Verwendung als Transformatorenöl und in Kondensatoren, sowie relativ geringer in Kühlaggregaten."
"Ja, und es wird geschätzt, dass allein bei Transformatoren zu Beginn der achtziger Jahre in der Bundesrepublik weit über sechzigtausend Stück mit insgesamt über dreißigtausend Tonnen PCB gefüllt waren. Das sind heutzutage zum großen Teil ausgediente Geräte, also hochgefährlicher Sondermüll."
"Und wo liegt der jetzt?", fragte Vogler neugierig.
"Zum Teil irgendwo in stillgelegten Bergwerken."
Vogler pfiff leise durch die Zähne. "Das ist – wenn ich das richtig verstanden habe – eine chemische Zeitbombe."
"Kann man so sagen, ja."
"Wie lange halten sich eigentlich diese Geräte? Was ist mit den ausrangierten Groß-Trafos passiert?"
"Tja, das weiß keiner so genau!"
"Mann oh Mann, das klingt nicht gut ..."
Vogler hatte aufgelegt. Er wühlte sich wieder durch die kopierten Zettel und Artikel. Sein anfangs noch ungläubiges Staunen wich nüchternem Begreifen. In der Bundesrepublik, die sich rühmte, einer der fortschrittlichsten Staaten auf dieser Welt zu sein, hatte in Bezug auf die Entsorgung von Giftstoffen für Jahrzehnte Anarchie geherrscht. Und immer noch war Deutschland weltweit der größte Exporteur von Sondermüll!
Vogler fragte sich, warum so etwas geduldet und verschwiegen wurde. Wie mächtig anscheinend die produzierende Industrie in Deutschland war!
Er las über die Krankheitsbilder und die Krebsgefährlichkeit der PCB. Bei Jungen, die mit dem Gift kontaminiert worden waren, hatte man sogar festgestellt, dass ihre Geschlechtsteile kleiner als normal waren. PCB konnte sogar zur Feminisierung führen. Vogler lief ein Schauer über den Rücken.
In der Toxikologie wurden PCB in der Wirkungsweise mit dem chemisch verwandten Seveso-Gift Dioxin verglichen, wenn auch in abgeschwächter Form. Vor allem ihre chronische Giftigkeit wurde als große Gefahr gesehen. Und er las darüber, dass sie eigentlich nur in sogenannten geschlossenen Systemen verwendet werden durften und über die logische Schlussfolgerung der Experten, dass geschlossene Systeme durch den Zahn der Zeit irgendwann zu offenen Giftspuckern wurden.
Voglers Erstaunen wandelte sich in Ärger. Als Polizist hatte er während seiner letzten Dienstjahre Leute bekämpft, die es darauf abgesehen betten, andere Leute zu töten. Aber gegen die Schergen des schleichenden Todes hatte es in diesem Staat nie wirksame Gesetze gegeben. Er spürte wie seine Wut hochkochte.
*
Sie war am Abend in Aachen weggefahren. Jetzt war der Morgen schon fortgeschritten. Die Sonne blendete sie, wenn sie links aus dem Fenster sah. Das Rattern der Räder wurde lauter. Der Zug donnerte den Brenner hinunter nach Südtirol. Barbara Meissner war unwohl in ihrer Haut.
Der Zug bewegte sich unaufhaltsam durch düstere Schieferberge. Aus dem Tal nicht sichtbar lagen darüber die strahlend leuchtenden gelben Massive der Dolomiten, in denen sie mit Schröder zweimal Urlaub gemacht hatte. Man konnte ihre Gipfel zwar nicht sehen, aber sie wusste um ihre Nähe.
Reinhard hatte es verstanden, als sie durch diese Berge gewandert waren, sie für diese einzigartige und grandiose Felsarenen zu faszinieren. Er hatte ihr von Zeiten erzählt, zig Millionen Jahre zurück, als dieses Gebiet noch unter dem Wasser gelegen hatte. Dort, wo heute Zinnen, Türme und Bergstöcke standen, die als Landschaft weltweit ihresgleichen suchten, war einmal ein endloser Ozean gewesen.
Nie hatte sie Reinhard so ausgeglichen erlebt, wie in diesen Bergen. Sie hatten Tage gehabt in gleißender Sonne angesichts monumentaler Wände, die in allen Farben leuchteten. Dann wieder Tage mit Gewittern, die ihre typische Endzeitstimmung verbreiteten. Plötzliches Dunkelwerden, murmelgroße Hagelkörner, Blitze, so hell wie ein unbedachter Blick in die Sonne, und Donner, der einem den Schreck durch die Glieder jagte. Die Bilder liefen wie ein Film vor ihr ab. Die Abende mit Rotwein und italienischem Essen, zweisame Nächte in Schlafsäcken inmitten dieser wilden Landschaft, draußen sein, nur der Sternenhimmel und der Mond über ihnen; behagliches Umarmen, sich gegenseitig Wärmen und Zufriedenheit. Doch jetzt saß sie allein in ihrem Abteil und fror.
Der Zug hatte seinen Zeitplan eingehalten, was in Italien eher
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