Schröders Verdacht - Der Italien-Thriller (German Edition)
sicher!", winselte der Mann.
"Was hat er noch erzählt?" Giaco schüttelte ihn.
"Er wollte über die grüne Grenze nach Österreich."
"Wo?"
"Ich weiß es nicht, er hat es nicht gesagt. Ich weiß es wirklich nicht!", stieß er verzweifelt hervor.
Giaco ließ ihn los und verlangte den Vertrag, den er ohne Zögern von dem schockierten Mann bekam. Giovanna riss ihn an sich, überflog ihn und steckte ihn ein. Dann rannten beide zum Mercedes. Giovanna setzte sich ans Steuer. Giaco nahm die Straßenkarte in die Hand.
"Wohin fahren wir?", fragte Giovanna.
"Einen Augenblick. Das Cadore ist lang. Er sprach von der grünen Grenze nach Österreich durch das Gebirge. Da gibt es zahlreiche Varianten. Ich glaube, es wird schwierig, ihn zu finden." Giaco sah in die Karte. "Wir nehmen die Strecke durch das Pustertal bis Toblach, dann fahren wir bis Misurina und sind im Cadore. Er wird Richtung Osten fahren und irgendwo die Grenze zu Fuß überqueren wollen. Aber wo?"
"Wie heißt die grenznächste Stelle, die mit dem Auto zu erreichen ist?"
Giaco studierte die Karte erneut. "Da gibt es nur zwei Möglichkeiten: einmal Collina, scheint weit abgelegen zu sein und nur über kleine Straßen erreichbar, und zum anderen der Plöckenpass. Beide Stellen liegen unmittelbar am Grenzkamm der Karnischen Alpen zu Österreich und sind nicht mehr weit voneinander entfernt, sieh her auf die Karte", sagte er.
"Er denkt, dass er im Gebirge bevorteilt ist", schloss sie. "Er wird Angst haben, die Zollstelle ohne Papiere zu überschreiten. Die italienischen Zöllner könnten ihn festhalten. Und da hat er gar nicht so Unrecht." Sie grinste hämisch, und Giaco grinste zurück.
"Er hat einen bedeutenden Vorsprung und ich eine großartige Idee. Diesmal brauchen wir deinen Saltini nicht. Fahr los und halte an der nächsten Telefonzelle, ich werde mit Belluno telefonieren."
*
Schröder empfand zum ersten Mal Ruhe, seit das Unheil begonnen hatte. Er saß in dem Leihwagen und hatte gerade das Pustertal hinter sich gelassen. Kurz vor der Grenze zu Österreich, die hier gut bewacht und stark besetzt war, bog er in Toblach nach Südosten ab. Er hatte jetzt Zeit bis zum Abend. Das Wetter war hervorragend. Er freute sich auf den Blick, den er in Kürze haben würde. Sein Magen wurde flau, die Hände feucht, und der strahlend blaue Himmel ließ genau das erwarten, was er sich zumindest für kurze Augenblicke von diesem Tag ersehnte.
Der Wald rauschte an ihm vorbei. Seine Augen hatten sich in Höhe der Baumwipfel festgekrallt, um die Berge aus dem Wald herauswachsen zu sehen. Dann, plötzlich, lichteten sich die Bäume und gaben den Blick frei: die drei Zinnen von Lavaredo. Welche Urgewalt! Die Nordwände lagen im Schatten. Ihre gigantischen Wandfluchten wurden nur ganz kurz im Sommer spätabends von der Sonne erhellt. Riesige gelbe Mauern aus Dolomit, ein Felszirkus, in dem schon seit Beginn der Extrembergsteigerei die Besten ihrer Zeit Maßstäbe gesetzt hatten.
Sein Vater war einer von ihnen gewesen. Er war in Innsbruck aufgewachsen. Mit zweiundzwanzig Jahren war Josef Schröder Bergführer gewesen. Drei Jahre später hatte er sein Studium als Ingenieur beendet. Er hatte in seiner Jugend alle schweren Wände bestiegen, die damals Rang und Namen hatten: die Nordwände von Eiger und Matterhorn, die Rieseneisflanken am Walkerpfeiler im Montblanc-Gebiet, die Civetta-Mauer, die gewaltige Nordostwand des Piz Badile und viele andere.
Irgendwann, an einem herrlichen Sommertag, war ihm im Stadtzentrum von Innsbruck eine junge deutsche Touristin begegnet. Er hatte sie angesprochen und die nächsten Tage eine schöne Zeit mit ihr verbracht, ihr die Umgebung der Alpenstadt, ihre Bauwerke und das Gebirge gezeigt. Nachdem sie in ihre Heimatstadt Aachen zurückgefahren war, hatte er geahnt, dass sie ihn nicht mehr loslassen würde. So war er ihr kurz entschlossen hinterhergefahren.
Er hatte sie gesucht und auch gefunden, hatte ihr ohne zu zögern einen Heiratsantrag gemacht und war bei ihr geblieben. Das war 1953. Einen Arbeitsplatz hatte er schnell gefunden. Gute Leute waren damals gesucht. Mit der Zeit war er zum Abteilungsleiter einer Maschinenfirma aufgestiegen.
Das Bergsteigen hatte er nie wieder so betreiben können wie früher. Aber in der Eifel hatte er schließlich den Ort Nideggen gefunden, dessen Burg auf einer von weitem sichtbaren, leuchtend roten Felswand stand. Dort war ab jetzt sein Trainingsgelände. Hier war er oft zu finden. Seine Frau Ingrid war
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