Schroedingers Schlafzimmer
Illusionen. Ja, ich werde Salome, Tullia d’Aragona und Mata Hari zum Bühnenleben erwecken. Ich werde diesen drei mutigen, faszinierenden und von der Welt geächteten Frauen zu ihrem Recht verhelfen. Das ist mein Plan! Sie sollen auferstehen! Ihnen soll Gerechtigkeit widerfahren.«
Er stand auf und streckte Oliver die Hand entgegen. Oliver wußte nicht genau, was er sagen sollte. Er hatte versucht, den Zauberer wie einen gewöhnlichen Kunden zu behandeln, aber sehr gewöhnlich war das alles nicht gewesen. (Bis auf die Dioptrienwerte, die er gemessen hatte, die lagen im Rahmen des Üblichen.) Er sagte: »Und wo ist Ihr Atelier? Ich meine,
wo
sollen diese drei außergewöhnlichen Frauen sich wieder materialisieren?«
Die Frage schien den Magier zu überraschen. Und in einem Ton, als sei das doch selbstverständlich, sagte er: »Wo denn schon? Zunächst einmal in meinem Schlafzimmer.«
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»Also das war gestern«, sagte Helma, und am Klang ihrer Stimme erkannte Do, daß sie sich im Freien aufhielt, vermutlich saß sie auf der Terrasse aus Tropenholz, die Mark und sie im letzten Jahr hatten anlegen lassen, und trank ihren geliebten Elf-Uhr-Cappuccino, befreit von Kindern und Mann: die beste Zeit des Tages.
Do hingegen mußte dringend eine Lieferung schwedischer Serviettenringe aus geschwärztem Eisen ins Gedeck-Regal räumen. Aber ebenso reizte es sie, von Helma ein paar Neuigkeiten über den Zauberer zu erfahren. Sie sagte: »Das heißt, er ist einfach so hereinspaziert, wie jeder andere Kunde auch?«
»Es ist ja nichts Ungewöhnliches«, sagte Helma, »eine Bank zu betreten. Schrödinger hat aber gezielt nach Mark gefragt und wollte mit ihm unter vier Augen sprechen. Er meinte, es sei ihm nicht lieb, wenn für andere zu sehen wäre, daß er sich mit Geldangelegenheiten beschäftigt. Er hat Angst, daß dies seinem Zauberer-Image schaden könnte. Aber zu Mark, sagte er, habe er vollstes Vertrauen. Daß er sich um sein Vermögen kümmern müsse, solle nicht unbedingt die Runde machen.«
|64| »Wofür gibt es denn das Bankgeheimnis? Seine Geschäfte müßten doch überall vertraulich behandelt werden.«
»Schon«, sagte Helma, »aber es ist ja ein Unterschied, ob du einem Wildfremden deine Kontostände auf den Tisch legst, oder einem Freund.«
»Du würdest Mark als seinen Freund bezeichnen?« Aus irgendeinem Grund ärgerte es Do, daß Helma so tat, als seien Mark und sie mit Schrödinger praktisch per Du, nur weil sie ihn einmal bewirtet hatten. Sie spürte die Ambivalenz der Bindungskräfte in ihrem Verhältnis als Freundinnen: Einerseits mochte sie Helma, sie mochte ihre strahlende, stämmige, daueraktive Art. Doch andererseits fühlte sie sich von ihr ständig in die zweite Reihe gedrängt, und zwar in einer Weise, die sie zwang, direkt hinter Helma zu sitzen und immer auf der einen oder anderen Seite an ihr vorbeischauen zu müssen, um mitzubekommen, was lief.
»
Befreun
det,
bekannt
…«, sagte Helma jetzt, die Silben affektiert dehnend, »das ist nicht so entscheidend. Tatsache ist, daß Schrödinger aus
eigener
Initiative gekommen ist und keinen anderen sprechen wollte als Mark. Es war ihm unangenehm. Man erwartet von einem Zauberer doch, daß er stets über Geld verfügt, aus welchen Quellen auch immer. Und daher ist es ihm nicht recht, wenn sich herumspricht, daß er sich wie alle anderen um die Erhaltung und Vermehrung seines Vermögens kümmern muß.«
»Ein wenig profan ist das schon. Warum kauft er nicht einfach Aktien, von denen er
sieht
, daß sie im nächsten Jahr sprunghaft steigen?«
|65| »Du hast es erfaßt, Liebste. Genau das ging Mark nämlich auch durch den Kopf, als er den Magier beraten hat. Glaub mir, ich habe ihn noch nie so nachdenklich erlebt wie gestern abend. Er hat das Essen – immerhin Cannelloni mit Steinpilzfüllung, du weißt schon, die aus der Märzausgabe des ›Feinschmecker ‹, ich bin erst gestern dazu gekommen, sie auszuprobieren, und ich finde, sie sind mir
ziemlich
gut gelungen – also von diesen herrlich duftenden Cannelloni hat er kaum etwas gegessen, weil er einfach nicht darüber hinweggekommen ist, daß Schrödinger sich eine geschlagene Stunde lang über die Optimierung seiner Vermögensstruktur informiert und dabei offenbar einen total naiven Eindruck gemacht hat. Er kannte weder den Lingohr-Systematic-Invest oder wie das Ding heißt noch den Unterschied zwischen Geldmarkt- und offenen Immobilienfonds.«
Do sagte: »Himmel, Helma. Wer versteht schon
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