Schroedingers Schlafzimmer
Zum Notieren Ihrer Zaubersprüche?«
Er lächelte. »Höre ich da Ironie heraus? Ich bin eine unverbesserliche Plaudertasche. Mein Beruf bringt das mit sich: Die halbe Miete beim Zaubern ist reden. Leute bequasseln. Verzeihen Sie mir. Was bin ich Ihnen schuldig?«
Do konnte sich nicht erinnern, wann sie diese altmodische Formulierung zuletzt gehört hatte – ob überhaupt schon jemals, seit sie zusammen mit Ruth die Boutique führte. Es war ungefähr so, als hätte er sie zum Tanzen aufgefordert, ihr den Arm zum Einhaken hingehalten oder ihr einen Heiratsantrag gemacht. Während er bezahlte, das Wechselgeld einsteckte und mit seinem höflichen Schrödinger-Lächeln (das sie nun kannte) hinausging, wurde Do wütend auf ihn und seine vertrackten Manieren. Hatte er das Recht, sie zu verwirren? Warum benahm |77| er sich nicht wie alle? Warum fragte er nicht einfach, was macht’s, und sie hätte gesagt sechsunddreißig, und er hätte von ihr bekommen, wofür er bezahlt hatte.
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Oliver konnte fünf Zaubertricks. Es handelte sich um schlichte Kombinationen aus kleinen Fingerfertigkeiten, Schwindeleien und Ablenkungsmanövern, mit denen sich (wenn sie denn gelangen) ein gutmütiges Publikum ein wenig verblüffen ließ. Das erste dieser fünf Kunststückchen war dabei kaum als Zaubertrick zu bezeichnen, obwohl es als einziges einem Zauberkasten entstammte, den sich Oliver zu seinem zehnten oder elften Geburtstag gewünscht hatte. (Er begann zu zaubern, aber die profane Mechanik der Tricks desillusionierte ihn damals.) Dieses erste Kunststück war in Wahrheit eine mäßig originelle optische Täuschung, die aus einer geschickten Handbewegung hervorging, die darin bestand, einen Zauberstab – zur Not tat es auch ein Bleistift – am Ende waagerecht zwischen Daumen und Zeigefinger zu halten und sodann locker auf- und abschwingen zu lassen. Eine gewisse Trägheit des Auges bewirkte dabei, daß es so aussah, als ob der Stab auf einmal aus Gummi wäre und sich abwechselnd nach oben und unten durchbiegen würde, anstatt einfach nur starr zu pendeln. Das war hübsch und, wenn man es gut machte, überraschend anzusehen, aber |79| der Trick krankte eindeutig daran, daß niemand – selbst wenn man es mit einem sehr naiven Publikum zu tun hatte – annahm, das hölzerne Stäbchen könne nun
wirklich
aus Gummi sein. Jedem war klar, daß es sich bei der augenscheinlichen Elastizität um eine optische Täuschung handelte, was alles in allem aber nicht der Sinn von Zaubertricks ist.
Oliver war sich dieser Problematik und überhaupt der Dürftigkeit seines magischen Repertoires absolut bewußt. Und er wußte nicht, welcher Teufel ihn geritten hatte, Jonas, seinem Sohn, der im Juni – also in gut vier Wochen – sieben werden würde, anzubieten, bei der anstehenden Geburtstagsfeier eine »Zaubervorstellung« zu geben. Der Junge nahm die Offerte mit Begeisterung, ja geradezu mit Jubel auf – und in diesem Moment begriff Oliver, daß er einen nicht wiedergutzumachenden Fehler begangen hatte.
Auch Do starrte ihn ziemlich entgeistert an. Jonas rannte zu Jenny, seiner vier Jahre älteren Schwester, die sich ihm gegenüber zur Zeit ziemlich altklug gerierte, um ihr die sensationelle Neuigkeit mitzuteilen. Und als Do mit Oliver allein im Zimmer war, sagte sie: »Du willst eine Zaubervorstellung geben? Du kannst doch überhaupt nicht zaubern. Was soll das denn werden?«
»Woher willst du wissen, daß ich nicht zaubern kann?«, fragte Oliver zurück. Besonders verärgert war er darüber, daß sie im Grundsatz recht hatte. Er dachte trotzdem, es müßten etwa zehn Tricks sein, die er beherrschte, was für eine Kindervorstellung ja ausgereicht hätte, und er mühte sich den ganzen Tag über damit ab, eine entsprechende Liste zu erstellen. Er kam aber nur bis fünf, und als er |80| abends im Bett lag, wurde ihm mit einem mulmigen Gefühl klar, daß es Nummer sechs oder sieben auf seiner Liste ganz einfach nicht gab.
Kläglich zu versagen war eine mehr als unangenehme Vorstellung, fand Oliver. Aber
vor dem eigenen Sohn
zu versagen schien ihm als Niederlage nicht nur kläglich, sondern vernichtend. Ein eigenartiger Schmerz nistete sich oberhalb seines Nackens ein, als wäre in seinem Schädel dort ein Loch, aus dem sein Gehirn herausgesaugt wurde.
Er konnte nicht zaubern
– das wurde ihm mit derart schrecklicher Gewißheit klar, daß er die ganze Nacht über keinen Schlaf fand. Er mußte die Sache unbedingt abblasen, gleich am nächsten
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