Schroedingers Schlafzimmer
waren. Der Drei-Schnüre-Trick wurde für ihn zu einer erotischen Metapher: Guter Sex war eine Art von Zauberei, ein raffinierter Trick im dunklen Bühnenraum des Ichs.
Beim Frühstück sagte Do: »Ich verstehe sehr gut, daß du Jonas nicht enttäuschen möchtest. Aber es hilft nichts: Du mußt ihm sagen, daß du einen Fehler gemacht hast, als du ihm eine Zaubershow für seinen Geburtstag versprochen hast.«
Sie merkte, wie sehr Oliver sich quälte. Er war mit nichts anderem mehr beschäftigt, als darüber nachzusinnen, wie er sich aus der selbstgestellten Falle befreien konnte. Es war unmöglich, in weniger als vier Wochen einer Horde von Sechs- und Siebenjährigen eine Zaubershow zu präsentieren, die bei diesem von Harry-Potter-Filmen oder Werbespots verwöhnten Publikum nicht zwangsläufig durchfallen mußte.
Do ließ nicht locker, und als sie abends im Bett lagen, sagte sie noch einmal: »Es war ziemlich dumm von dir, ihm diese Vorstellung zu versprechen. Du solltest ihm möglichst schnell reinen Wein einschenken. Je länger du damit wartest, um so schlimmer wird es für ihn.«
Aber er sagte nur: »Do, ich
kann
zaubern.«
»Oliver«, sagte sie in jenem ihr gelegentlich eigenen Tonfall, der zum Ausdruck bringen sollte, daß ihr Intelligenzquotient |84| den seinen ungefähr um den Faktor zwei bis drei übertraf, »nur weil es dir
einmal
gelungen ist, hinter das Geheimnis eines Zaubertricks zu kommen, kannst du noch lange nicht zaubern.«
»Warum bist du so versessen darauf, mir zu beweisen, daß ich etwas
nicht
kann?«
»Ein Trick ist noch keine Show.«
»Das ist keine Antwort auf meine Frage.«
»Ich möchte dir nichts beweisen.«
»Doch, möchtest du. Du willst mir klarmachen, daß ich mich im Rahmen meiner Möglichkeiten bewegen soll.«
»Und wenn es so wäre? Was ist so schlecht daran?«
»Daß du mir nichts zutraust.«
»Ich traue dir enorm viel zu.«
»Aber du hältst es für unvorstellbar, daß ich meine Möglichkeiten erweitere.«
Sie sah ihn über den Rand ihrer Lesebrille hinweg an: »Du brauchst
mir
nichts zu beweisen und du brauchst
Jonas
nichts zu beweisen. Und du solltest auch dir nichts beweisen wollen. Das ist alles, was ich sagen möchte.«
»Noch einmal, Do: Warum nicht? Wovor hast du Angst?«
»Ich habe vor nichts Angst. Ich möchte nur nicht, daß du dich blamierst.«
»Das ist es! Du möchtest nicht, daß man mich für einen Versager hält. Du hast Angst, daß Helma oder Ruth oder diese Bi Odenthal, die hier seit neuestem ständig anruft, denken, du hättest eine Niete geheiratet.«
»Oliver, das ist keine Grundsatzfrage. Es geht ganz einfach darum, daß du Jonas eine Zaubershow versprochen |85| hast, obwohl du nicht zaubern
kannst
. Es geht darum, daß kein vernünftiger Mensch ins Wasser springt, wenn er nicht schwimmen kann.«
»Ich weigere mich, deinen fatalistischen Standpunkt zu teilen. Alles, was du sagst, ist: Wir sind, was wir sind.«
»Ich liebe, was du bist. Vielleicht solltest du
darüber
einmal nachdenken.«
»Nein, das werde ich nicht tun. Einander zu lieben heißt nicht, einander auf ein bestimmtes vereinbartes Maß zurechtzustutzen.«
»Also gut«, sagte sie, »dann tu, was du tun mußt.«
»Der Punkt ist, Do: Ich
kann
zaubern.«
Gemessen an der professionellen Hexerei mit den Schnüren war Olivers vierter Trick eine Art Kleinstmagie, eine bescheidene Täuschung im Taschenspielerformat. Er hatte sie vor ein paar Jahren in einem Comic-Heft entdeckt, das er mit Jonas bei einer Flugreise durchgeblättert hatte, als der Junge noch nicht lesen konnte. Es handelte sich um einen »Zauberkompaß« zum Ausschneiden, ein simples achteckiges Pappscheibchen mit einem aufgemalten Richtungspfeil sowohl auf der Vorder- wie auf der Rückseite. Der ganze Trick bestand darin, daß die Pfeile, je nachdem um welche der vier möglichen Achsen man das Scheibchen drehte, mal in die gleiche und mal in die entgegengesetzte Richtung wiesen, mal aber auch im rechten Winkel zueinander zu stehen schienen. Das war durchaus verblüffend, basierte allerdings auf einem rein geometrischen Zusammenhang. Um dem Ganzen überhaupt eine magische Aura zu geben, mußte man das Spiel mit dem Scheibchen in eine ausgedehnte Geschichte einbetten.
|86| Am besten, überlegte Oliver, eignete sich dazu ein Märchen im Hänsel-und-Gretel-Stil. Die böse Hexe würde den Kompaß im Wald stören, um die verirrten Kinder in ihr Haus zu locken – ungefähr bis zu diesem Punkt kam er mit seinen
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