Schroedingers Schlafzimmer
Überlegungen immer, allerdings war er sich über das Ende der Geschichte nicht im klaren. Die Gefangenschaft der Kinder, das wochenlange Mästen Hänsels sowie das brutale Finale mit dem Ofen brachten für den vorzuführenden Trick nichts. Er mußte sich eine schlüssige Variante einfallen lassen, die Hexe verschwinden zu lassen, ohne sie aufwendig zu verbrennen. Er vertraute auf sein Improvisationstalent, irgend etwas würde ihm schon einfallen, sowieso mußte er den Zauberkompaß am Ende schnellstmöglich in der Hosentasche verschwinden lassen, damit keines der Kinder etwa auf die Idee kam, das kleine Scheibchen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Das Telefon klingelte, als Oliver über das Ende des Kompaßtricks nachdachte. Do hob ab, es war ihr Vater. Oliver war aufgefallen, daß er in letzter Zeit häufiger anrief als früher, und er fragte sich, ob es einen Grund dafür gab.
»Ach, na ja«, sagte Do, »viel Neues gibt es eigentlich nicht.«
Oliver überlegte, ob sie ihrem Vater erzählen würde, daß er eine Zaubershow plante und was
sie
davon hielt. Bei Trick Nummer fünf gab es ein bestimmtes Problem; er kannte das kleine, aber wirkungsvolle Kunststück aus seiner Zeit als Raucher. Do hatte ihn dazu gebracht, mit dem Rauchen aufzuhören, und deswegen kannte sie den Trick nicht.
|87| »Was ist mit dir?«, sagte sie ins Telefon. »Du klingst in letzter Zeit so bedrückt.«
Oliver versuchte, nicht hinzuhören, um nicht abgelenkt zu werden. Es handelte sich bei diesem fünften Kunststück (das Ganze war eigentlich ein Kneipentrick) um die Spielerei mit der Zellophanumhüllung einer Zigarettenschachtel, die auf wundersame Weise geöffnet und wieder geschlossen wurde.
Do sagte: »Fändest du es denn besser, wenn sie überhaupt nicht mehr käme? Es kann ja sein, daß sie dich kritisiert, aber was ist denn die Alternative? Ich finde, hinter jeder Kritik verbirgt sich ein Rest Zuneigung.«
Oliver hatte das Gefühl, daß diese Worte nicht nur ihrem Vater galten, sondern auch ihm. Der Zigarettenschachteltrick war brillant, aber etwas störte Oliver daran, sich vor den Augen seines Sohnes als Virtuose der Zigarettenschachtelmanipulation zu erweisen. Die dramatischen Warnungen vor den Gesundheitsrisiken des Rauchens, die mittlerweile auf sämtliche Schachteln gedruckt wurden, paßten nicht in die unschuldige lebensfrohe Atmosphäre eines Kindergeburtstags. Zusammen mit der wundersamen Öffnung der Zellophanumhüllung würde er den geweiteten Jungenaugen finstere Botschaften aus dem Reich von Krankheit und Morbidität präsentieren: »Rauchen verursacht Krebs!«, »Rauchen tötet!« Als er dies dachte, bemerkte er die lautliche Ähnlichkeit der Wörter rauchen und zaubern. Und auf einmal überfiel ihn die Vision, daß er seinem Sohn und allen bei der Geburtstagsfeier anwesenden Kindern und Müttern, insbesondere Do, mit dramatisch-theatralischem Gestus ein riesiges Warnschild |88| entgegenhielt, auf dem in pechschwarzen Lettern zu lesen war: Zaubern tötet!
Do sagte: »Dann hör doch einfach nicht hin.«
Oliver seufzte, machte seine Nachttischlampe aus und wickelte sich in seine Bettdecke. Allmählich bereute er es, daß er vorgeschlagen hatte, ein Telefon im Schlafzimmer zu installieren. Dos Vater litt unter depressiven Schüben und achtete beim Anrufen nicht auf die Uhrzeit. Wenigstens dauerten die Gespräche zumeist nicht lang. Es schien, als wollte der alte Mann sich nur vergewissern, daß seine Tochter noch existierte. Oliver fragte sich, ob es ihm mit Jenny einmal ebenso gehen würde, deren aufsässige Natur allmählich zutage trat. Er war froh, als Do das Gespräch beendete und er also auf Schlaf hoffen durfte, den er dringend benötigte. Aber offenbar hatte Dos rastloser Verstand während des Telefonats mit ihrem Vater zweigleisig gearbeitet und war auch in Sachen Zaubershow tätig gewesen.
Sie sagte: »Frag doch Balthasar Schrödinger, ob er dir ein paar Tricks verrät.«
Oliver traute seinen Ohren nicht. Er war sofort wieder wach und sagte: »Auf keinen Fall!«
»Wieso nicht? Wofür kennen wir denn einen Zauberer? Und warum sollte er dir nicht helfen?«
»Zauberer verraten keine Tricks. Ich würde übrigens auch keinen annehmen.«
»Falscher Stolz, Liebster.«
»Selbst wenn dieser Schrödinger mir helfen würde, ich habe nicht die geringste Lust, in seiner Schuld zu stehen. Weiß der Teufel, was er dafür am Ende erwartet. Für mich ist er ein Kunde, und damit hat sich’s. Es ist eine gute alte
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