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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Einschlafhaltung: zaghafte Rückkehr ins Embryonalstadium, den Rücken konvex gebogen und geschlossen wie eine Burgmauer um Hof und Garten und Brunnen ihres Leibes. Oliver nutzte das Bettdeckenrascheln, um sein Gesäß anzuheben und zur Seite zu drehen. Endlich frei, richtete sein Ständer sich auf. Irgendwann hörte er, daß Do eingeschlafen war. Wie konnte sie einschlafen? Wieso war sie nicht ebenso unbefriedigt wie er, verfallen dem manischen Gedanken an Sex? Ja, es war längst eine Manie: In der Dunkelheit hinter seinen Augenlidern verdichtete sich Schrödingers voluminöser rosa schimmernder Leib, hingestreckt auf den Rücken, sein großes Gesicht, blöde grinsend vor Verzückung, und Do, die über seinen weißgrau beflaumten Tatterlenden kniete und ihn ritt, nackt und mit konkav durchgebogenem Rücken härtete sie sein Zaubergerät, abgestützt mit ausgestreckten Armen auf den mageren Knoten seiner Altmännerknie. So vögelten sie keuchend vor Anstrengung und Ekstase. Oliver faßte sich an. Anders würde er diese Bilder nicht loswerden, und er
mußte
endlich schlafen, mußte Ruhe finden. Er rieb sich sachte, während Do schlief. Er würde noch einmal aufstehen müssen, verstohlen und naß – egal. Befreie und benutze mich, schwinge mich durch die Lüfte und ich werde dir dienen! – Treues Werkzeug Fleisch.

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    Auch Onkel Stefan war ein Zauberer gewesen. Manchmal dachte Do daran, wie er ihr das Federballspielen beigebracht hatte. Sie war in einem mittleren Eifelstädtchen aufgewachsen, das als Gemeinwesen zu klein gewesen war, um irgendeine Form von geistigem oder kulturellem Leben zu entwickeln, jedoch aufgrund einer gewissen Gnade der Statistik zu groß, als daß jeder jeden gekannt hätte. Als Do acht oder neun Jahre alt war, bauten ihre Eltern am Stadtrand einen Bungalow im amerikanischen Stil. Das Neubaugebiet war makellos und die Gärten niedrig und lichtdurchlässig. Als Pharmavertreter verließ ihr Vater – ein schweigsamer, sanfter, schon damals zu Depressionen neigender Mann – das Haus jeden Morgen in aller Frühe. Mit einem schwarzen Handkoffer machte er sich auf seinen einsamen Vertreterweg, um die Ärzte des dünn besiedelten Hohen Venns mit Abszeßsalben, Rheumamitteln oder Pulvern zur Reduktion von Magensäure zu versorgen. Wenige Monate nach seiner Hochzeit (sechs, um genau zu sein) war er Vater geworden, und in seiner schwermütigen Art vergötterte er seine Tochter von Anfang an. Do erbte nicht die betriebsame Weiblichkeit ihrer |94| Mutter, sondern sein ruhiges, introvertiertes Blut, ohne allerdings seine Neigung zur Depression zu besitzen. Im Gegenteil, ihr war ein bestimmter Hang zum schwärmerischen optimistischen Glauben an das Gute in der Schöpfung und den Menschen eigen. Und so waren ihre ersten Erinnerungen an Onkel Stefan denn auch die an einen magischen Hans-Dampf-in-allen-Gassen, an jemanden, der auf jede Frage eine prompte Antwort wußte und der, wie sich irgendwann herausstellte, das Federballspiel mit wissenschaftlicher Präzision und göttlicher Grazie beherrschte.
    Onkel Stefan war groß und mager und ausgestattet mit einem flachen froschartigen Gesicht, über dem sich seine vollen silbernen Haare, akkurat von rechts nach links gescheitelt, wölbten wie ein klassischer Marmorbogen. Er war, wie Do sich später einmal ausrechnete, rund zwanzig Jahre älter als ihre Mutter und hatte schon in den fünfziger Jahren als Geschenkpapierfabrikant seine Schäfchen ins Trockene gebracht. Mit sicherem ökonomischen Instinkt hatte er auf ein Produkt gesetzt, dem ein jahrzehntelanges stabiles Wachstum beschieden sein sollte. Es fiel ihm leicht, spendabel zu sein und Dos Herz mit einer nie abreißenden Kette von kleinen, zauberhaft eingepackten Geschenken zu gewinnen.
    Bei den Partys, die ihre Eltern gelegentlich gaben, trug Onkel Stefan zumeist helle Anzüge, deren Entertainer-Charme er mit einer roten oder goldenen Seidenfliege abzurunden pflegte. Er trank niemals Bier oder Wein, sondern ausschließlich Whiskey »on the Rocks«, mit dem er sich an der Hausbar im Wohnzimmer sehr reichlich versorgte, |95| wie Do sich zu erinnern meinte, ohne daß man ihm je angemerkt hätte, daß er betrunken gewesen wäre. Jedesmal wenn er kam, zauberte er aus den diversen Taschen seiner hellen Anzüge eines seiner kleinen Mitbringsel heraus: einen dreieckigen Riegel herrlich süßer Toblerone-Schokolade, ein Micky-Maus-Heft oder eine Barbie-Puppe   – Dinge, die damals noch nicht

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