Schroedingers Schlafzimmer
|89| Regel, Privates und Geschäftliches voneinander zu trennen.«
»Herrje, Oliver. Er ist unser
Nachbar
. Und er hat uns nächsten Samstag zu sich
ein
geladen.«
Oliver richtete sich wieder auf. »Dabei ist mir auch nicht besonders wohl. Ich meine, was hat er mit uns zu tun, oder mit Helma und Mark? Er ist nicht verheiratet, er hat keine Kinder. Er gehört nicht mal in unsere Generation! Er hat nie im Leben lange Haare gehabt, Zigaretten gedreht oder für den Frieden demonstriert.«
»Na gut«, sagte sie. »Ich halte also fest: Du weigerst dich erstens, dir helfen zu lassen, und zweitens, Jonas ’ Erwartungen zu dämpfen und der Realität deiner Fähigkeiten anzupassen. Deswegen frage ich dich Folgendes:
Was
gedenkst du in vier Wochen zu tun?«
»Ganz einfach: Ich werde zaubern. Im Kopf habe ich die Show schon nahezu fertig.«
»Verrätst du mir einen Trick? Nur einen einzigen. Ich bin einfach neugierig.«
Hinter der Linde vor dem Schlafzimmerfenster schwebte der leuchtende Vollmond, aber es war unmöglich, seine weiße Scheibe durch das Geäst im Ganzen zu sehen zu bekommen. Immer sah er aus wie irgendwo angebissen oder angeschlagen.
Oliver sagte: »Ich beginne damit, die Materialeigenschaften eines Zauberstabs vor den Augen der Kinder innerhalb von Sekunden zu verändern. Ich bewege den Stab locker auf und ab – dadurch scheint er wie aus Gummi zu sein. Ich mache mit dem Gummiding ein bißchen ausschmückend herum, und da ist es auch schon wieder fest |90| und verwandelt sich – Hokuspokus Fidibus! – in mein Werkzeug, den Zauberstab. Paukenschlag und Tusch – die Show kann beginnen!«
Sie sah ihn an. »Oliver, das ist nicht komisch.«
Er brauchte einen Moment, um den Kern des Mißverständnisses zu erfassen. Dann mußte er grinsen: »Oha, entschuldige, aber das
ist
komisch. Auf
die
Idee bin ich noch gar nicht gekommen. Do, der Trick stammt aus einem Zauberkasten, den ich
als Kind
geschenkt bekommen habe. Mein Gott, es sind
Sechsjährige
! Der Trick funktioniert jedenfalls, das heißt, mit einem echten Zauberstab und nicht nur mit dem, den du meinst.«
Sie sagte: »Ich meine gar nichts.«
Er ärgerte sich über ihre abweisende Art. »Vielleicht gibt es ja einen Grund für die spezielle Richtung deiner Assoziation.«
»Welcher sollte das sein.«
»Sexmangel.«
»Willst du darüber reden?«
»Über Sex kann man nicht reden.«
»Wieso das nicht?«
»Do! Wir beide wissen worum es geht. Wir können es tun oder wir lassen es. So einfach ist das.«
»Du hast recht. Tun wir es.«
Er sah sie an. »Wie meinst du das?«
»So wie du es sagst. Da du ja offenbar an nichts anderes mehr denken kannst, machen wir es jetzt.«
»Sehr komisch.«
»Ich meine es ernst. Ich kann es jederzeit mit dir tun. Das ist es doch, was du willst.«
|91| Er fand ihre Art unerträglich. »Du weißt genau, daß ich es
so
nicht meine. Ich will nicht, daß du tust, was ich will, sondern was
du
willst. Ich weiß auch, daß wir es jederzeit tun können – rein theoretisch sozusagen. Der Unterschied ist aber, daß ich mir nicht
vornehmen
muß, es zu tun. Verstehst du, was ich sagen will? Ich weiß, daß ich es
kann
, aber der Punkt ist, daß ich
nicht anders
kann. Ich
muß
. Aber du
mußt
offenbar nicht. Das ist der Unterschied.«
Nachdenklich sagte sie: »Verzaubere mich.«
Er wandte sich ab: »Du sagst es ja selbst: Ich kann nicht zaubern.«
Irgendwann nahm sie ihr Buch vom Nachttisch, und hinter seinen geschlossenen Lidern schimmerte rötlich der Schein ihres Leselichts. Seinen Köper, sein Gewicht empfindend wie einen Schuldspruch, lag er flach auf dem Bauch. Sein Puls pochte hart gegen seinen Brustkorb, preßte einen dumpfen Blutstrom an seinem Magen vorbei ins Bauchgewebe und hinunter in diesen Brennpunkt zwischen seinen Schenkeln, pumpte ihn dort auf, bis sein Schwanz schmerzlich an die Grenzen der Matratzenmulde stieß. Oliver spürte die Enge, und der Schmerz schien den Blutstrom noch zu verstärken. Befreie mich, benutze mich!, flüsterte sein Ständer, aber Oliver weigerte sich, sich zu bewegen. Daß er wie tot dalag, liebesfern versteinert, sollte
ihr
Schuldigsein bezeugen. Sie sollte sich schuldig fühlen, das wünschte er sich vor allem. Keinen Millimeter würde er sich mehr bewegen, auch wenn sein Schwanz platzen sollte. Irgendwann hörte er, wie sie das Licht ausschaltete, hörte, wie sie sich raschelnd in ihre |92| Decke hüllte, eine Armlänge von ihm entfernt. Sie rollte sich zusammen, er kannte ihre
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