Schroedingers Schlafzimmer
donnerstags nicht. Mit Bedacht sagte sie: »Der springende Punkt ist, wie Oliver sich verhalten hat.«
»Helma, mach es bitte nicht so spannend.«
Betontes Ausatmen drang durch den Hörer und signalisierte, daß die Ouvertüre auch aus Helmas Sicht nun beendet war. »Also«, begann sie, »was stimmt, ist, daß ich eine Sonnenbrille kaufen wollte, weil ich meine alte unmöglich noch tragen kann, weißt du, diese Ray-Ban, du kennst sie ja. Wie auch immer, kaum hatte ich das Geschäft betreten, es muß so zwei, halb drei gewesen sein, verfiel Oliver in eine sonderbare Hektik. Was soll ich sagen – er sprang von hier nach da, dachte nicht daran, mir einen Kaffee anzubieten, was er sonst immer macht, und wirkte total konfus. Als ich reinkam, hatte er am Computer gesessen, als würde er über irgendwelchen Abrechnungen brüten, aber ich habe sofort gespürt, daß da etwas nicht stimmte. Und die einzige Erklärung, die ich dafür |138| habe, ist die, daß er mich hat kommen sehen und aus irgendeinem Grund schnell an den Computer gesprungen ist, um so zu tun, als würde er konzentriert arbeiten. Ich verstehe ja nichts von Brillen, aber mit Computern kenne ich mich aus. Er hat irgendwie mit der Maus herumgefuhrwerkt, um Aktivität zu demonstrieren, aber irgend etwas war faul dabei. Ich weiß ja, wie das ist: Wenn man
wirklich
konzentriert am Computer arbeitet, dann ist man wie eingefroren. Man bemerkt überhaupt nicht, was rechts und links von einem passiert.«
»Helma,
was
willst du mir sagen?«, beendete Do den Redefluß aus dem Telefonhörer endlich, aber viel zu spät. Sie ärgerte sich über sich selbst, mehr noch als über ihre Freundin, weil sie solange zugehört hatte, ohne die rhetorische Salve mysteriöser Andeutungen zu unterbrechen. Sie war zu sanftmütig und nachgiebig. Sie hatte Helma nicht widersprochen, so wie sie auch ihrer Mutter kaum je widersprochen hatte. Nie hatte sie ihr eigenes Gift produziert, um sich Respekt zu verschaffen.
Helma fuhr unbeirrt fort: »Ach weißt du, Liebes, vielleicht rede ich ja auch furchtbaren Unfug. Es war nur so eigenartig, als ich das Geschäft betreten habe. Oliver hat behauptet, er wüßte nicht mehr, wo er die Gucci-Kollektion hingeräumt hatte – ich bitte dich: die
Gucci
-
Kollektion
! –, und hat mich praktisch
gezwun
gen, erst mal sämtliche Prospekte durchzublättern, bevor ich mich im Geschäft umsehen durfte. Als ich saß, ist er für ein paar Sekunden in seiner Werkstatt verschwunden, kam ziemlich nervös wieder heraus und hat die Tür zugemacht. Danach hat er so getan, als würde er weiter nach dieser Brille suchen, von |139| der er meinte, sie wäre das absolut Richtige für mich, obwohl sie in Wirklichkeit, wie sich dann herausgestellt hat, viel zu dunkel und hart für mein helles Gesicht ist. Ich sah genaugenommen aus wie kurz vor meiner Erschießung, als habe man mir die Augen verbunden. Ich habe mich seinen sonderbaren Anweisungen gefügt, weil ich ihn nicht in Verlegenheit bringen wollte, aber ich habe mir natürlich meine Gedanken gemacht.«
Do spürte, daß es Helma gelungen war, sie tatsächlich zu beunruhigen. Eine Stimme, die ihre eigene war, sagte: »Um Gottes willen, in was für eine Verlegenheit denn, Helma?«
»Ja ist dir denn nicht klar, was mir geradezu durch den Kopf gehen
mußte
?«
»Absolut nicht.«
»Aber, Do, ich bitte dich!« Helma schien wirklich verblüfft über die Begriffsstutzigkeit ihrer Freundin und fuhr fast ein wenig belehrend fort: »Entschuldige, daß ich das jetzt so direkt sage, aber Oliver hat sich ganz und gar so verhalten, als hätte ich ihn mit einer Geliebten erwischt! Verzeih, Do, es ist wirklich nicht meine Art, leichtfertig solche Verdächtigungen auszusprechen, das weißt du ja. Aber ich kann mir auch nicht verbieten, bestimmte Schlüsse zu ziehen, die geradezu auf der Hand liegen. Warum war er so nervös, als ich ins Geschäft gekommen bin? Warum hat er so getan, als würde er am Computer arbeiten? Und warum ist er noch mal schnell in seine Werkstatt gehuscht und hat anschließend die Tür zugemacht?«
»Warum denn schon?«, sagte Do verärgert. »Helma, du siehst wirklich Gespenster. Mittwoch ist in der Regel nicht |140| viel los, ich weiß das, weil es in der Boutique auch so ist. Manchmal telefonieren wir Mittwochs miteinander, einfach weil wir uns langweilen. Aber das tut nichts zur Sache. Der Punkt ist, daß Oliver die Mittwochnachmittage
tatsächlich
meistens für Bürokram nutzt. Er hat bestimmt
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