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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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würde er am Rechner arbeiten. Wieso, Do? Wieso fuchtelt jemand wie wild mit der Maus eines
abgeschaltete
n Rechners herum? Kannst du mir das erklären? Und als Oliver meinte, das Ding sei kaputt beziehungsweise mit irgendeinem Wurm infiziert, habe ich ihm angeboten, mir die Sache anzusehen. Aber da ist er wirklich ausgerastet. Du hättest ihn
erleben
müssen. Glaub mir, er hat uns, Balthasar und mich, geradezu rausgeschmissen. Er war total mit den Nerven runter, und es war klar, er will nur noch eins: Uns endlich loswerden! Auf einmal hat er behauptet, daß er schon morgens mit rasenden Kopfschmerzen aufgewacht ist – ich gebe zu, er sah auch wirklich schlecht aus. Aber ist das ein Grund dafür, uns etwas vorzumachen, wie ein aufgescheuchtes Huhn im Laden hin- und herzurennen und uns am Ende in hohem Bogen rauszuwerfen?«
    Es folgte eine von Helmas theatralischen Pausen, Dos Wut fand kein Ventil in der Leitungsstille. Vor zwanzig Jahren, dachte sie, hätte sie wenigstens den Hörer auf die Gabel knallen können. An den kleinen Knöpfchen, die man heutzutage zu drücken hatte, um ein Telefonat zu beenden, konnte man sich nicht richtig abreagieren. Und gleich das ganze Telefon in eine Ecke zu pfeffern erschien ihr melodramatisch. Helma hätte es so gemacht – beziehungsweise sie würde überall herumerzählen, daß sie es so gemacht hätte.
    So ruhig wie möglich sagte Do schließlich: »Und du meinst, der Grund für Olivers Nervosität wäre die nackte Geliebte im Hinterzimmer gewesen?«
    |144| Jetzt, da sie ihre Theorie in aller Klarheit vor Do ausgebreitet hatte, wurde Helma nachdenklich, beinahe sanft. »Ach, ich weiß nicht, Do – ich meine gar nichts. Ich verstehe total, daß du sauer auf mich bist, aber ich fand einfach, du hättest ein Recht zu erfahren, was gestern los war. Das ist alles.«
    »Du hast mir aber weniger erzählt, was tatsächlich los war, sondern vor allem, was du dabei gedacht hast.«
    »Das läßt sich doch nicht voneinander trennen, Liebste. Alle Welt weiß das. Es gibt keine Fakten, nur Vermutungen. Die gesamte Politik, unsere
Demokratie
beruht auf diesem Grundsatz. Balthasar ist sogar der Meinung, daß alles, was wir sehen, ein Produkt unseres Gehirns ist. Er hat ja gelegentlich diese philosophischen Anwandlungen. Materie, sagt er, besteht in Wirklichkeit nur aus Vibrationen – unserer Fantasie, nehme ich an.«
    Do sah die Möglichkeit, Helma nun ihrerseits auf den Zahn zu fühlen. »Seit wann duzt ihr euch eigentlich?«
    »Ach, habe ich dir das noch gar nicht erzählt?«
    »
Das
ist erstaunlich, Helma.«
    »Ich habe ihm vorige Woche sein Kätzchen zurückgebracht, es hatte sich in unseren Garten verirrt. Balthasar war mitten in einem spirituellen Prozeß, als ich anrief, und konnte nicht weg. Er ist wirklich reizend. Er hat mir ein Glas Champagner angeboten und mich durchs Haus geführt. Mir wäre die Einrichtung zu karg, aber als Künstler kann man sich das leisten. Es war ungemein anregend, aber leider konnte ich nur zwei Stunden bleiben.«
    »Zwei Stunden? Ich dachte, er wäre in einem spirituellen Prozeß gewesen.«
    |145| »Ich muß allmählich Schluß machen, Liebste. Ich drücke mich, wo ich kann, vor der Arbeit. Ich sitze gerade an einer Briefmarkendatenbank für einen Händler aus Eberswalde. Er ist ein unglaublicher Pedant wie alle Philatelisten. Die zählen die Zacken, auch im Leben, sage ich dir. Laß uns hoffen, daß wir niemals so werden.«
    Nachdem Do den Hörer abgeschaltet und zur Seite gelegt hatte, starrte sie in den Garten mit seinem regenfeuchten geduldigen Grün. Sie war zu passiv; sie war wie der Rasen und Helma wie das Wetter. Die Stille im Haus war unerträglich, und sie ging nach oben und schaltete den Staubsauger ein. Staub war eine magische Substanz, weil sie sich aus dem Nichts bildete, jeden Tag aufs neue. Die Schlafzimmerfenster aus den dreißiger Jahren waren zu klein, um dem regendunklen Tag Helligkeitsmengen abzutrotzen, die in der Lage gewesen wären, antidepressive Wirkungen zu entfalten. Durch Licht bildete sich im Gehirn Serotonin, hatte Do gelesen, ein antriebssteigerndes Hormon. Sie schaltete eine der Leselampen an, um nicht das Gefühl zu haben, selbst nur graue farblose Staubmaterie zu sein. Im Halogenkegel der Strahler wirbelten Schwärme winziger Partikel auf: wie Schneekristalle über den weißen Hängen der Bettdecken. Doch die winterliche Jungfräulichkeit des Bilds täuschte, denn was dort glitzerte, waren abgestoßene verbrauchte

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