Schroedingers Schlafzimmer
Inzestschranke hat sie dir außerdem zunächst als Sexualobjekte vorgeführt, deren Besitz aber unmöglich war. Ihre Allgegenwart hat deinen maskulinen Herrschaftsanspruch beständig eingegrenzt und untergraben, und dafür rächst du dich bis heute, indem du von allen Frauen erwartest, daß sie dich stets und ohne Murren mit sexueller Befriedigung versorgen.«
Daraufhin sagte eine dritte weibliche Stimme: »Tullia, was soll dieses ganze Gequatsche? Lutsch ihm einen, und wir sind den Wichser wieder los.«
Der kathedralenhafte Renaissanceschrank mit den acht, auf dem oberen Abschlußsims aufgereihten Holzkaryatiden teilte (wie Oliver erst jetzt sah) ein dahinter gelegenes Séparée ab. Dort trat nun eine brünette Endzwanzigerin |228| mit stark geschminktem Gesicht hervor. Ihr Teint war so dunkel wie der von Do, und sie trug kaum etwas am Leib – nur Schmuck, um genau zu sein. Die Fransen eines tief auf ihren Hüften liegenden Gürtels aus Kettengewebe bedeckten ihre Scham und zwei mit Perlenspiralen verzierte Silberschalen die Brüste. Eine Menge Kettchen und Reife klimperten um ihre Hand- und Fußgelenke, und beim Gehen schepperte sie ein bißchen wegen des vielen Metalls. Sie kam auf Oliver zu und beugte sich zu ihm hinab. Ihr mit dicken Kajalstrichen, reichlich Puder und feuchtschimmerndem Lippenstift exotisch aufgetakeltes Gesicht schwebte hautnah an das seine heran, als sie mit mondäner rauchiger Stimme hauchte: »
Mata Hari
. Und Sie?«
Oliver preßte eine Mischung aus heiserem Räuspern und seinem Namen hervor.
Tullia sagte: »He, Mäggi. Die Entdeckung des Unbewußten fällt in deine Zeit. Ein bißchen Bildung würde dir nicht schaden. Ich fand es immer sehr anregend, mich mit Künstlern und Kardinälen zu umgeben. Einer der berühmtesten Mathematiker und Astrologen meiner Zeit, Gerolamo Cardano, gehörte zu meinem Freundeskreis. Er hat in meinem Boudoir fantastische Prophezeiungen gemacht: die Erfindung des Teleskops, die Galileische Revolution, die Mondlandung! Im übrigen mache ich kein Geheimnis daraus, daß wir eine Menge Spaß gehabt haben. Kennt ihr zum Beispiel schon
den
? Was ist der Unterschied zwischen einem Schwanz und einem Teleskop?« Sie sah sich um, und da niemand antwortete, sagte sie: »Das Teleskop hat die Menschheit klüger gemacht.«
»Versteh ich nicht«, gähnte Salome. Mit ihren herrlich |229| weißen Schneidezähnen versuchte sie einen Nietnagel am rechten Zeigefinger zu fassen zu bekommen, um ihn zu kürzen oder auszureißen. »In unserem Hofstaat treiben sich ne Menge solcher Typen rum, Astrologen, Wahrsager, Handleser und so weiter. Die meisten sind harmlos, aber einen von diesen durchgeknallten Propheten hat mein Stiefvater eingelocht, Jochanaan oder so ähnlich. Angeblich redet er von morgens bis abends völlig wirres Zeugs, von wegen, daß wir umkehren sollen und so, aber kein Mensch weiß wohin. Ich würde ihn trotzdem gerne mal sehen, ich habe nämlich den Verdacht, daß Herodes in Wahrheit eine Schweineangst vor ihm hat.« Sie fuhr träge damit fort, ihre schönen schlanken Finger zu untersuchen und kleine Hautüberschüsse an den Nagelbetten abzuweiden.
Mata Haris Zehen waren malvenfarben lackiert. Der Mummenschanz war gewöhnungsbedürftig, aber welcher Aspekt des Lebens war dies nicht, dachte Oliver. Sie stieg die Bühne hoch, warf sich auf die Récamiere und sagte zu Tullia d’Aragona: »Was hattest du am Ende davon, daß diese grandiosen Philosophen, Kardinäle, Künstler und sonst welche Geistesgrößen in deinem Salon verkehrt haben? Irgendwann sind sie weitergezogen und haben sich frischeres Fleisch gesucht. Mir soll man nichts erzählen, wenn es um all diese aufgeplusterten Gockel geht, die meinen, in die Suppe der Geschichte spucken zu müssen. Diese großartigen Reden und wichtigtuerischen Gebärden! – Die Männer produzieren den Donner, und wir sind die Blitzableiter, so sieht’s aus. Wirklich Tullia, ich frage mich allmählich, wie du dir den Ruf erworben hast, eine der größten Huren deiner Zeit gewesen zu sein. – Und du«, wandte |230| sie sich wieder an Oliver. »Wer bist du? Auch so ein scheißberühmter Prophet?«
Salome latschte gelangweilt zu ihrem Jugendstilsessel und fläzte sich aufreizend hinein, indem sie ein Bein ausstreckte und das andere über die Armlehne abspreizte. Oliver betrachtete sie. Ja, dachte er, die Liebe war gewiß groß. Aber er wußte trotzdem, daß er sofort auf die Knie gefallen wäre, um ihr, wenn sie es denn
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