Schroedingers Schlafzimmer
befohlen hätte, die sandigen Zehen Kuppe für Kuppe mit der Zungenspitze zu reinigen.
Salome bemerkte seinen Blick und sagte: »Was starrst du mich so an? Ich will nicht, daß ein Wildfremder mich so anstarrt.«
Oliver sprang auf und rief: »Salome! Tanze für mich!« Er hatte dabei ein unangenehmes Gefühl. Es kam ihm vor, als sei er nicht frei, sondern als stünde all das irgendwo geschrieben.
Tullia d’Aragona zischte: »Ich will nicht, daß sie tanzt.«
Salome erhob sich stolz. Die Seide ihrer sieben Schleier glitzerte. »Ich habe kein Verlangen zu tanzen, Oliver.«
»Salome, tanze für mich!« flehte Oliver. Seine Augen brannten, seine Kehle war ausgetrocknet, am liebsten hätte er Schnee gegessen.
Mata Hari beobachtete die Szene von der Récamiere aus. Sie lag sehr lasziv da. Sie dehnte sich einem kniehohen Kerzenleuchter entgegen, um sich eine Zigarette anzuzünden, die am Ende einer langen schwarzen Spitze zwischen ihren Lippen steckte. Die Glut wippte, als sie sagte: »Oliver, sei kein Esel. Komm her. Vielleicht erlaube ich dir ja, meine Gürtelschnalle abzulecken.«
|231| Oliver flehte. »Salome. Ich bin heute Abend traurig, sehr traurig. Meine Frau hat ein Verhältnis mit eurem Dschinn oder Sultan oder was weiß ich. Ist das gerecht, Tullia?
Er
hat alles, und
ich
soll
nichts
haben? Wo bleibt da die Philosophie? Die Moral? Die Ethik? Salome, du bist jung. In der Jugend hat man ein ausgeprägtes, wildes Gerechtigkeitsempfinden. Ist es nicht so? Tanze für mich! Übrigens wirst du damit weltberühmt werden. Du bist eine weltberühmte Stripperin, du weißt es nur noch nicht! Salome, du wirst ein Weltstar wegen eines einzigen Strips! Tanze für mich und sieh es als Übung an. Ich gebe dir ein paar Tips. Ich habe mich – zugegeben als Laie – mit der erotischen Wirkung von Posen ernsthaft beschäftigt. Du wirst Geschichte machen. Du wirst die Fantasie von Genies entzünden. Die berühmtesten Künstler werden dich malen: Tizian, Benozzo, Caravaggio, Gustave Moreau, Klimt, Franz von Stuck …«
Tullia stöhnte: »Franz von Stuck, dieser schwüle, mittelmäßige Pinselgeili!?«
Mata Hari drückte ihre Zigarette in den Marmoraschenbecher, der auf einem Messingfuß neben dem Kerzenleuchter stand, und sagte: »Also
wenn
hier jemand die Weltgeschichte mit Arsch und Titten beeinflußt hat, dann ja wohl ich. Der deutsche Thronfolger lag in meinem Bett ebenso wie der französische Premierminister. Und sie haben Millionen von Soldaten verheizt, um sich zu zeigen, wer der Stärkere ist. Aber ich sage euch: Die großartigsten Strategen können so viele Soldaten aufs Schlachtfeld schicken, wie sie wollen – mehr als zwei Kugeln haben sie trotzdem nicht in ihren Rohren.«
|232| Oliver bettelte: »Salome, tanze für mich!«
Sie kniff die Augen zusammen. »Und was gibst du mir dafür?«
Mata Hari zündete sich noch eine Zigarette an und nickte. »Na endlich. So langsam kapiert sie’s.«
Oliver dachte nach. Seine Lage war nicht besonders gut. Als Kunde einer sexuellen Dienstleistung (als welche nach knapp zwei Jahrtausenden Salomes bahnbrechender Auftritt traurigerweise ja nur noch zu bezeichnen war) stand er mit eklatant leeren Händen da. Er besaß nichts, womit er das kindliche Naturell der verwöhnten Wüstenprinzessin hätte bestechen können. Gemessen an den Goldvorräten, die ihr maulwurfsäugiger Onkel und Stiefvater Herodes in seinen Schatzkammern hortete, dachte Oliver, wäre mit seiner Scheckkarte wahrscheinlich nicht einmal das Abziehen eines Hühneraugenpflasters zu bezahlen gewesen. In der Eile fiel ihm Folgendes ein: »Ich sage dir deine Zukunft voraus.«
»Hm …«, machte Salome.
Er sagte: »Salome, du bist ein fantastisches, herrliches Geschöpf, aber leider eine Marionette.«
»Das ist nicht wahr!«
»Doch, ist es. In der gelben Kladde auf dem Tisch kannst du dein Leben nachlesen. Balthi bastelt von Zeit zu Zeit an deiner Reinkarnation. Tut mir leid, du bist eine Erfindung. Strippe für mich, und du wirst frei sein. Du wirst aus dieser Tür dort hinausgehen können und in der Lage sein, fortan dein eigenes Leben zu leben. Salome, ich flehe dich an, tanze für mich. Tanze für mich um deiner selbst willen …«
|233| Tullia d’Aragona erstarrte und brabbelte nur noch vor sich hin: »Die Liebe der niedrigen und gemeinen Menschen wird durch nichts anderes hervorgerufen, als durch das Verlangen, den Gegenstand ihrer Leidenschaft zu besitzen.«
Mata Hari blies Zigarettenrauch aus.
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