Schroedingers Schlafzimmer
wahr. Dein Balthasar ist ein Schwein. Das sehe ich auch so. Ganz im Vertrauen muß ich dir etwas sagen. Raste bitte nicht aus: Er hat eine Geliebte.«
Gemessen an ihrem orientalischen Temperament blieb sie erstaunlich ruhig. »Na, so etwas. Das hätte ich nicht für möglich gehalten.«
»Es ist wahr«, sagte Oliver düster und fatalistisch. »Es ist sogar in ganz furchtbarer Weise wahr … Dein Balthasar hat ein Verhältnis mit meiner Frau.«
Daraufhin lachte jemand. Es war ein kehliges Mezzosopran- oder eher schon Alt-Lachen. Da Salome nicht gelacht hatte (es war auch nicht ihre Tonlage), mußte sich eine weitere Person im Raum befinden. Oliver bemerkte, |225| daß es um das Bett herum etwas heller geworden war. Irgend jemand hatte dort zwei als Putten gearbeitete Wandleuchten eingeschaltet, und auf den samtigen Polsterflächen der Récamiere bewegte sich ein Schatten. Bei näherer Analyse der Lichtverhältnisse mußte er von einer hinter dem Biedermeier-Paravent verborgenen Person stammen. Salome drehte sich zum Bett und sagte: »Ich finde das überhaupt nicht zum Lachen, Tullia. Ich kann verstehen, daß er es nicht gerne sieht, wenn Balthi etwas mit seiner Frau hat.«
»Schätzchen, du kennst seine Frau doch überhaupt nicht«, sagte die Stimme. Offenbar gehörte sie dieser Tullia d’Aragona. Sie kam hinter dem Paravent hervor, imposant gekleidet. Der breite viereckige Ausschnitt eines Schnürkorsetts wurde von reichlich Kettenschmuck und einem feingefältelten und plissierten Leinenhemd verdeckt. Die Ärmel waren gepufft und liefen in einer trichterförmigen Spitzenkrause aus. Der kegelförmige Brokatrock öffnete sich vorne keilförmig, wurde durch eingesetzte Stahlringe aufgeweitet und fiel in steifen Röhrenfalten zu Boden. Die Kleidung wirkte mit ihren eingesetzten Stangen und Verstärkungen wie eine Rüstung. Tullia war so kräftig gebaut wie Helma Kienapfel.
Salome war beleidigt: »Du weißt ja immer alles besser.«
Tullia sagte: »Kindchen, ich habe einfach ein bißchen mehr Erfahrung als du.«
»Klaro. Soweit ich weiß, hast du ja jeden rangelassen, der mit ein paar Dukaten geklimpert hat.«
»Ach Gott, du weißt nichts. Sei froh.«
»Ich weiß genug, das kannst du mir glauben. Ich weiß, |226| wie Herodes mich von morgens bis abends mit seinen Maulwurfsaugen anstiert. Das reicht mir.«
»Hauptsache, du zeigst ihm konsequent die kalte Schulter. Falls er dich angrapscht oder versucht, dich mit irgend etwas zu ködern, gib auf keinen Fall nach. Keinen Millimeter, hörst du. – Sag mal, Oliver, habe ich das gerade richtig verstanden? Deine Frau hat etwas mit Balthi?«
Oliver sank dumpf in sich zusammen. »Er hat sie solange mit Anzüglichkeiten und Frivolitäten traktiert und bedrängt, bis ihr gar nichts anderes mehr übriggeblieben ist, als nachzugeben. – Und du, Tullia? Stimmt das? Du warst …?«
»Dichterin und Philosophin! Meine Liebeslyrik war äußerst erfolgreich. Oliver, du denkst zu kleinbürgerlich. Die Liebe ist etwas Großes!«
»So groß auch wieder nicht. Ich nehme an, euer Balthi hat ein bißchen mit seinem Ding gewedelt, und da konnte meine Frau nicht anders.«
»Gut, Oliver, reden wir über deine Frau. Oder besser noch: Reden wir über Frauen. Wie war dein Verhältnis zu deiner Mutter.«
»Wie bitte?«
»Ich nehme an, du hast deine Mutter nicht als Individuum, sondern als funktionierende Versorgungsinstanz wahrgenommen.«
»Nun ja, sie war Krabbenpulerin.«
»Sei ehrlich, hast du jemals über ihre Sexualität nachgedacht?«
»Dazu gab es keinen Grund. Sie hat in ihrem Leben mehr als vierzig Millionen Krabben gepult, um ihr Haus |227| abzubezahlen, und wahrscheinlich noch mal die gleiche Menge, um mir und meinen beiden älteren Schwestern eine Ausbildung zu ermöglichen.«
Tullia hakte sofort nach. »Du hast noch zwei ältere Schwestern? Hast du dich von ihnen unterdrückt gefühlt?«
»Es sind dumme Schnepfen. Sie haben wegen des Geldes geheiratet und sind jetzt unglücklich. Typisch.«
Tullia d’Aragona nickte gelassen. »Ich merke schon, Oliver, an dir sind die Ergebnisse sämtlicher Gender Studies ziemlich spurlos vorübergegangen. Aber das kriegen wir schon hin. Für den Feminismus bist du ein offenes Buch. Deine Mutter hat dich stets und ohne Murren mit allem versorgt, was du zum Leben brauchtest, während dich deine älteren Schwestern mit ihrer physischen und intellektuellen Überlegenheit gedemütigt haben. Das frühkindliche Fehlen der
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