Schroedingers Schlafzimmer
Terrassentür, die nur angelehnt war. Das erinnerte ihn an irgend etwas, aber seine Gedanken hielten mit dem Tempo der Ereignisse nicht Schritt. Schon durchquerte er das Wohnzimmer, stieg die Treppe hinauf und blieb vor einer Tür stehen.
Er
hatte vor ein paar Wochen behauptet, diese Tür niemals im Beisein Fremder zu öffnen, weil sich dahinter das spirituelle Kraftzentrum
seiner
magischen Kräfte befinde. Oliver stand vor Schrödingers Schlafzimmer.
Er fühlte sich jetzt nüchtern. Er betrachtete die Lempicka-Reproduktion, die neben der Tür hing, blaß schimmernd im nachtblauen Licht, das durch irgendein Fenster hineindrang. Oliver sah, daß er mit seiner Litfaßsäulen-Zeichnung die Lempicka-Pose kopiert hatte.
Hier
machte ihn das Bild wütend. Er sah darin einen Ausdruck der Unverfrorenheit des Zauberers (oder seiner Methode), sein Opfer (Do) durch einen permanenten Beschuß mit Anzüglichkeiten solange zu traktieren, bis kein nennenswerter Widerstand mehr zu erwarten war. Schrödinger hatte den Raum sein Allerheiligstes genannt. Sein Garbhagriha – Oliver erinnerte sich an das gestelzte Wort: sein Schoßhaus. Das war seine Art von Humor. Oliver hatte schon damals nicht darüber lachen können. Jetzt würde sich zeigen, was es damit auf sich hatte.
Er öffnete die Tür. Tropisch warme Lüfte wirbelten aus dem Raum, und das bißchen Mondscheinhelligkeit verlor sich schnell. Instinktiv tastete Oliver mit der flachen Hand nach einem Lichtschalter, aber er fand keinen. Fühlerartig streckte er seine Arme vor und meinte nach ein paar |220| Schritten einen Tisch wahrzunehmen und darauf etwas wie eine Lampe. Er bekam kühles Metall zu fassen und ein baumelndes Zugkettchen, mit dem sich ein nach unten gerichteter kobaltblauer Mattglasschirm schwächlich zum Leuchten bringen ließ.
Er sah sich um. Ihn umgab ein vollgestopftes, unsäglich rumpelkammerartiges Interieur. Die gepflegte monostilistische Art-déco-Leere des Wohnzimmers hatte sich hier in ihr überbordendes materiestrotzendes Gegenteil verkehrt, in einen sagenhaften Möbel- und Stilepochenfundus. Rein historisch fand sich Oliver halbwegs zurecht. Er verdankte seiner Liebe zur Malerei ein reichhaltiges Bildreservoir, bestehend aus imposanten Thronbesteigungen in Öl, bürgerlichen Salonszenerien oder minutiösen Stillleben. Für die meisten Einrichtungsgegenstände (sofern es angebracht war, von einer Einrichtung zu sprechen) fand er eine Art Anschauungsmuster.
Das Bodenniveau im hinteren Raumdrittel war durch eine Bühne um zwei Stufen angehoben. Dort stand das Bett. Es handelte sich um eine Récamiere mit hellgrauem Überwurf und einer abnehmbaren, mit bordeauxrotem Samt bezogenen Lehne. Darüber hing eine in Gold gerahmte Kopie von Giorgiones schlafender Venus. Kunsthistorisch war das Original die erste großformatige Darstellung der Venus in völliger Nacktheit. Oliver verbot sich, darüber nachzudenken,
wer
ihre Blöße und Pose auf dem Samtpolster nachgestellt haben mochte.
Auf der linken Seite des Bettes stand ein Biedermeier-Paravent mit Rosengobelin. Rechts ragte ein wuchtiger Renaissance-Schrank in die Höhe. Er war wie die Fassade |221| eines Palazzos gestaltet und verziert, mit Fenstern, Giebeln, Gesimsen, Säulen und filigranen Kapitellen. Eine Rokokositzgruppe mit geziert-geschweiften Stuhlbeinen, ovalen Rückenlehnen und einem weißen runden Tischchen voller Intarsien verschwand rechts hinter drei wuchtigen, mitten im Raum von der Decke hängenden epigonal-caravaggesken (vermutlich spätromantischen) Amordarstellungen. Links davon erstreckte sich ein kleines Wäldchen aus vielarmigen Stehleuchtern auf drei oder vier Schichten einander überlappender fransiger orientalischer Brücken, Läufer und Teppiche. Die kobaltblaue Schreiblampe wiederum war reinstes Art déco. Sie halste dem aus allen Stilnähten platzenden Schlafzimmer auch noch die Ästhetik des Erdgeschosses auf. Im Lampenschein lagen drei Schreibkladden, eine in warmem Gelb, eine in samtigem Rot und eine in tiefem Nachtblau.
Oliver sah, daß es sich um Hefte aus Dos Boutique handelte. (Do hatte ihm nie erzählt, daß der Zauberer bei ihr je als Kunde aufgetaucht war, und es lag auf der Hand, warum sie ihm das verheimlicht hatte.) Er setzte sich und schlug die Hefte auf. Das gelbe war auf der ersten Seite mit »Salome« überschrieben, das rote mit »Tullia d’Aragona« und das blaue mit »Mata Hari«. Rund die Hälfte der Seiten war jeweils beschrieben, aber ohne Brille konnte
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