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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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vorübergehende Milde gegenüber Ursels Dekolleté verwandelte sich wieder in Verachtung, weil der tiefe Ausschnitt eben doch nichts anderes war als der Versuch, in bestimmter, eindeutiger und primitiver Weise auf sich aufmerksam zu machen.
    Oliver war zu betrunken, um zu merken, daß die Sache |249| längst peinlich geworden war, und sagte: »Haben Sie Ihrer Josephine gegenüber denn kein schlechtes Gewissen,
hier
zu sein?«
    Do zischte: »Mutter, Josephine ist ein
Kätzchen

    »
Oliver
!«, trällerte Ursel heiter, »da hast du mich aber
rein
gelegt, als du von einer
Gelieb
ten gesprochen hast.«
    Do war entsetzt und Oliver amüsiert; er fand kein Ende. »Ich dachte, Sie hassen es, weibliche Wesen einzusperren.«
    »Oh, ja«, nickte Schrödinger, »das stimmt auch. Verraten Sie’s nicht weiter, aber die Terrassentür ist nur angelehnt. Josephine weigert sich, die Katzenklappe zu benutzen, die ich vor ein paar Wochen habe einbauen lassen. Meine Erziehungsversuche schlagen fehl, weil ich zu inkonsequent, zu nachgiebig bin. Doch was sage ich – das ist es ja eben: Was auch immer wir hervorbringen wollen, wir erschaffen immer nur uns selbst.
Wir
sind es, die erzogen werden müssen.«
    Do fühlte sich durch diesen Satz auf einen Schlag vernichtet. Er hatte zerstörerische Logik: Wenn Eltern immer nur sich selbst erschaffen konnten, dann war sie ihre Mutter. Und da sie ihre Mutter haßte, haßte sie sich selbst.
    Vico Müller kam dazu und warb für sein botanisches Jahrhundertprojekt, im hinteren Teil des Gartens statt der kränkelnden Blaufichte einen Mammutbaum zu setzen. Seine beiden bisexuellen Freundinnen hingen an seinen Lippen. Wie ein grüner Leuchtturm sollte der Baum eines Tages aus dem Hecken- und Rasenmeer gestutzter Kleingärten herausragen. Ein Fanal. Ein weithin sichtbares Zeichen für Vicos Credo, daß die Natur wichtiger war als alle |250| menschlichen Interessen. Vico wußte, wo er stand, seit er erstmals die legendäre Weissagung der Cree vernommen hatte, die den weißen Mann davor warnte, daß man Geld nicht essen kann.
    Oliver verzog sich, obwohl er das Mammutbaumprojekt bisher immer befürwortet hatte. Im Moment war ihm wohl nicht danach, einen Baum zu pflanzen, dachte Do. Sie war froh, daß er ging und nicht noch mehr Peinlichkeiten von sich gab. Und dann dachte sie wieder an ihren Vater. Wieso hatte sie Geburtstag und er Krebs? Und was hatte es zu bedeuten, daß sie ihm erschien? War wirklich nur ein erbsengroßes Stück wuchernder Gehirnsubstanz der Grund dafür? Die Menge der unbeantworteten Fragen erdrückte sie. Sie wußte, daß auch Naturvölker Löcher in Köpfe gebohrt hatten, um Geister zu befreien. So gesehen war die Wegstrecke, die die Medizin zurückgelegt hatte, nicht sehr weit. Der Unterschied war, daß Völker wie die Cree den Geistern das gleiche Existenzrecht zubilligten wie allen anderen Erscheinungen. Eine exakte Grenzziehung zwischen Realität und Illusion war ihnen nicht besonders wichtig; sie glaubten nicht einmal daran, daß sie möglich sei. Sie suchten nach den Botschaften hinter den Erscheinungen. Do fragte sich, ob es eine Botschaft hinter
ihrem
Erscheinen gab, etwas, das sie ihrem Vater übermitteln wollte, ihm sagen mußte, bevor er vielleicht würde gehen müssen. Aber sie wußte nicht, was für eine Botschaft das hätte sein können, und so fühlte sie sich noch leerer, noch nichtswürdiger.
    Bi Odenthal wußte zu berichten, daß einer aktuellen kanadischen Studie zufolge Frauen nach der Eheschließung |251| häufig
zu
nehmen würden, im Schnitt fünf bis sechs Pfund. Die Autoren des in der Zeitschrift
Physiology & Behavior
veröffentlichten Reports, ein Team aus Diätetikern und Konsumpsychologen, erklärten das damit, daß Freizeitaktivitäten aller Art   – Ausgehen, Sport, Sex – reduziert würden. Eine gewisse Laurette Dube von der McGill University in Quebec hatte zudem nachgewiesen, daß es ein genetisch bedingtes weibliches Verhaltensprogramm gebe, depressive Schübe durch erhöhte Nahrungsaufnahme zu kompensieren. Blanker Unsinn, dachte Do.
    Die Fackeln und die Lampions und die Verteilung der Gäste im Garten ließen es so aussehen, als hätte man an mehreren Stellen Feuer gelegt. Ursel wich nicht mehr von Schrödingers Seite, und Do fand, daß sie ihn anhimmelte wie ein blind verliebter Teenager. Irgendwann wollte sie Oliver bitten, den häßlichen Wald geleerter Flaschen von der Bar zu räumen und neue zu öffnen. Aber Oliver war verschwunden. Sie

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