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Schroedingers Schlafzimmer

Titel: Schroedingers Schlafzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Woelk
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Ich wollte es dir auch nicht sagen. Nicht heute. Tut mir leid.«
    »Es ist gut, daß du es mir gesagt hast.« Sie schwiegen |246| beide. »Wann wird die Operation sein?«, erkundigte sie sich.
    »Am Donnerstag.«
    »
Diesen
Donnerstag? Ich werde auf jeden Fall kommen.«
    »Das mußt du nicht. Es ist eine kleine Sache.«
    »Papa, ich muß auflegen«, sagte Do. »Sonst werden alle denken, es sei etwas passiert.«
    »Geh nur, Bärchen. Es geht mir gut.«
    »Ich rufe dich morgen an.«
    »Amüsiere dich. Es ist dein Fest.«
    Do legte auf und ließ sich ins Kissen fallen. Im Garten entluden sich die Hallogewitter fröhlicher Begrüßungen. Warum geschah das alles? Und warum geschah es
jetzt
? Wer drehte an den Schicksalsrädern, wer schrieb ihre Geschichte? Es mußte jemand sein, der sie haßte – Oliver höchstwahrscheinlich. Sie dachte darüber nach, ob sie womöglich nur eine Erscheinung in seinem Geist war. Und jetzt, da er Platz schaffen mußte für seine Geliebte, überhäufte er sie mit Unglück, um sich an ihr zu rächen und sie zu vernichten. Diese Variante erschien Do trotz einer gewissen Absurdität und eines unübersehbar paranoiden Zugs in diesen Sekunden sogar sehr wahrscheinlich. Sie fühlte sich nämlich ganz und gar geisterhaft, besonders als sie sich im Bad noch einmal zurechtmachte, um den Ausdruck der Schockiertheit und der Sorge um ihren Vater irgendwie aus ihren Zügen herauszuschminken. Da war ihr eigenes Gesicht ihr so fremd wie noch nie. Sie blickte in den Spiegel wie durch ein Fenster auf diese Frau, die dort, auf der anderen Seite versuchte, mittels Abdeckstift und Transparentpuder ein gesellschaftsfähiges weibliches |247| Wesen aus sich zu machen. Und sie fragte sich: Warum tut sie das bloß, diese fremde Frau? Alles umsonst.
    Aber Balthasar Schrödinger, fünf Minuten später, sagte: »Do, ich habe Ihnen ja immer schon zu Füßen gelegen, aber heute Abend sind sie ganz einfach   … wunderschön!« Dann wandte er sich an Dos Mutter, die neben ihm stand, und fügte hinzu: »Und ich weiß jetzt, wo es herkommt.«
    Ursel lächelte dankbar. Do hatte das Gefühl, daß ihre Mutter weitaus besser aussah als sie selbst. Zufriedenheit machte schön, und Selbstzufriedenheit offenbar besonders. Ursel hatte keine Schwierigkeiten damit, sich in Gesellschaft nicht nur als Gesprächspartnerin, sondern ganz selbstverständlich auch als Sexualobjekt zu präsentieren. Do hatte dies immer als ein untrügliches Zeichen von Ordinarität gewertet. Inzwischen dachte sie, daß sie selbst ein Problem hatte und nicht ihre Mutter. Warum fühlte sie sich in tief ausgeschnittenen Kleidern nicht wohl? Warum fühlte sie sich immer nur angestarrt, sobald die Spalte zwischen ihren Brüsten zu sehen war? Ihre Mutter war großzügig dekolletiert. Die Zeit hatte in ihre gesprenkelte, gebräunte Haut feine Riefen geritzt, aber sie schämte sich ihres Körpers nicht und hielt ihn weiterhin für attraktiv. Es lag feminines Selbstbewußtsein darin, fand Do jetzt auf einmal. Sie selbst hatte sich eine zweite Haut aus silberglitzerndem Stretchstoff zugelegt, die sie einschnürte. Irgendwann gesellte sich Oliver zu ihnen. Do war überrascht darüber, weil sie gedacht hatte, er würde ihr den ganzen Abend aus dem Weg gehen.
    Schrödinger entdeckte ihn und rief: »Oliver! Wie schön, Sie zu sehen!«
    |248| Oliver wollte witzig sein. Aber wie immer, wenn er ein Glas zuviel getrunken hatte, war sein Humor ungelenk. Er fragte: »Wo haben Sie denn
Josephine
gelassen?«
    Ursel horchte auf. »Wer ist Josephine?«
    Oliver sagte: »Eine seiner Geliebten.«
    Schrödinger nickte: »Bei Gott, Oliver, das ist wahr!«
    Do wollte sich nicht anmerken lassen, wie verwirrt sie war, und versuchte, ironisch zu sein. »Warum haben Sie Ihr Goldstück denn nicht mitgebracht? Sie hat das Terrain ja schon erkundet.«
    »Oh. Sie hat mir die kalte Schulter gezeigt, als ich gegangen bin.«
    Ihre Mutter sagte: »Ist sie jung, Ihre Josephine? Vermissen Sie sie?«
    »Josephine und ich, wir lassen uns unsere Freiheiten.«
    »Sie haben recht. Ich wünschte, ich wäre auch so modern gewesen!«
    »Warst du doch«, sagte Do voller Wut; sie hätte aufschreien können und verging vor Scham. Ursels Neugier war grenzenlos und ungeniert. Der Name Josephine hatte sie wachsam werden lassen, eine instinktive Alarmiertheit, die der Reaktion eines Tieres glich, das bei einem unbekannten Geräusch ein Ohr spitzt. Ihre Mutter witterte Konkurrenz, und der Reflex stieß Do ab. Ihre

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