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Schrottreif

Schrottreif

Titel: Schrottreif Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Morf
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ein hochintelligenter Mensch gewesen. Ursprünglich Hochbauzeichner, hatte er nach der Matura auf dem zweiten Bildungsweg vor mehr als 20 Jahren Mathematik studiert, aber kurz vor dem Abschluss einen psychischen Zusammenbruch erlitten und sein Studium nie beendet. Nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie hatte er eine mehrmonatige Reise mit dem Fahrrad unternommen. Später hatte er ein Studium in Umweltwissenschaften begonnen, aber bald wieder abgebrochen. Er hatte sich für Ökologie begeistert, für die Natur ganz allgemein, war für Sonnenenergie, gegen Schneekanonen und so weiter gewesen, war den Grünen beigetreten, die ihn aber nach einem Jahr wegen unangepassten Verhaltens ausgeschlossen hatten, wie sie von einem seiner ehemaligen Parteikollegen erfahren hatte. Er hatte Autofahrer angepöbelt; Leuten, die im Supermarkt Tiefkühlprodukte im Einkaufskorb hatten, Vorwürfe gemacht; Frauen in Pelzmänteln mit Farbe besprüht; an öffentlichen Veranstaltungen zu ökologischen Themen unprogrammgemäß das Wort ergriffen und war allen auf die Nerven gegangen. Er war eine Weile lang das Schreckgespenst der grünen Szene gewesen, hatte der Partei intern ihre Wischiwaschi-Haltung vorgeworfen und sie nach außen hin unmöglich gemacht. Gewohnt hatte er in einer Altbauwohnung mit Holzofen in der Brahmsstrasse, die er nur sehr sparsam beheizte. Zweitweise geizte er mit Wasser zum Duschen und Wäschewaschen. Er hatte mal da, mal dort gejobbt, als Hausmeister, Putzmann, Lagerarbeiter, meist temporär, und oft wurde er hinausgeworfen, weil seine Rechthaberei, seine Belehrungen, seine Überheblichkeit der ganzen Umgebung auf den Geist gegangen waren.
    ›Wissen Sie, den Herrn Tschudi konnten wir nicht behalten‹, hatte Elmer ein früherer Arbeitgeber erklärt. ›Er wollte partout als Reinigungsmittel nur Schmierseife benutzen, weil das umweltfreundlicher sei. Aber das entsprach einfach nicht unserem Konzept. Herr Tschudi hinterließ die geputzten Toiletten unsauber – und dazu seifig.‹
    Beliebt war Hugo Tschudi nirgends gewesen. Aber man wurde ja nicht gleich umgebracht, weil man besserwisserisch und hochmütig ist, verächtlich über andere lächelt und mit Schmierseife putzen will.
    War Hugo Tschudi ein Dieb gewesen? Geld hatte er kaum besessen. Seine temporären Jobs hatten nicht viel eingebracht. Als sie noch gelebt hatte, hatte seine Mutter ihm offenbar ein bisschen was von ihrer AHV, ihren Bezügen aus der Rentenversicherung, zugesteckt. Im Übrigen hatte er Arbeitslosengeld bezogen und manchmal Sozialhilfe. Ein Gesuch auf eine Rente lag bei der IV, der Invalidenversicherung, vor. Darüber musste ja jetzt nicht mehr entschieden werden. Tschudi hatte nicht viel Wert auf materielle Güter gelegt. Die düstere kleine Wohnung seiner Mutter hatte ihm genügt, seine wenigen Kleider sahen sehr nach Brockenhaus aus, sein Fahrrad war eine Schrottmühle, Valeries ewiger Ärger. Streiff konnte es ihr nicht verdenken. Aber möglicherweise hätte er doch gerne mehr Geld gehabt, vielleicht hatte er ein Doppelleben geführt?
    Streiff steuerte bei, was er aus dem Adressbuch hatte herausholen können. Viel war es nicht. Tschudi hatte offenbar keinen großen engeren Bekanntenkreis gehabt. Oder er hatte die Adressen seiner Freunde nicht notiert. Markus Stüssi etwa, mit dem er sich ja ab und zu getroffen hatte, war nicht verzeichnet. Eine Cousine hatte sich gefunden, die mit dem Opfer schon seit Jahren keinen Kontakt mehr hatte, ihn aber als Kind und Jugendlichen näher gekannt hatte. Streiff hatte sie in letzter Minute erwischt, bevor sie ins Osterwochenende ins Tessin abgereist war. Er sei ein Mensch gewesen, hatte sie gesagt, der sich gleichzeitig maßlos unter- und überschätzt hatte. Er hatte schwer Kontakt gefunden zu anderen Jugendlichen und bei Mädchen Abfuhren eingefangen, was er jeweils zynisch-verletzt kommentiert hatte. Aber er konnte sich ebenso aufspielen und großspurig erklären, die Welt werde noch hören von ihm. Eine frühere Arbeitskollegin, ein Bekannter vom Regionalen Arbeitsvermittlungszentrum und ein ehemaliger Kollege von den Grünen hatten nicht viel zu sagen gewusst. Aber allen schien es irgendwie unangenehm zu sein, zu Hugo Tschudi befragt zu werden. Hatten sie etwas zu verbergen? Jedenfalls hatten sie alle ein Alibi für den Abend des Mordes. Zwei, drei Adressen blieben zu überprüfen, Leute, die wegen der Feiertage nicht erreichbar gewesen waren.
    »Die zweite Person«, sagte Zita Elmer, »was gibt

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