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SchrottT (German Edition)

SchrottT (German Edition)

Titel: SchrottT (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Post
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seltsam, das hat er in der Zelle nie getan – und zeigt auf ein Schachbrett.
    Ohne sich groß darüber zu wundern, dass auf dem Spielbrett Hände und Füße aufgereiht sind, nimmt Colin Platz.
    »Lass uns spielen«, sagt Zweieinhalb.
    »Wie heißt dieses sonderbare Spiel?«, fragt Colin.
    »Natürlich Gliedmaßenschach, wie denn sonst?«
    »Ah ja«, macht Colin, »aber wie soll ich die, äh, Spielfiguren bewegen, wenn meine Hände … also, wenn meine Hände die Spielfiguren sind?«
    Zweieinhalb lächelt ausnehmend freundlich. »Du hast dieses Spiel anscheinend noch nie … also gut, ich werde es dir erklären. Es ist sehr leicht. Für jede lustige Geschichte, die du erzählst, darfst du eine deiner Gliedmaßen behalten.« Genüsslich lehnt sich Zweieinhalb zurück. »Ganz einfach, oder?«
    »Stimmt«, gibt Colin zu. »Richtiges Schach ist schwerer. Wegen der Pferdchen. Ich übersehe immer, auf welche Felder die ziehen dürfen.«
    »Also los – du fängst an.«
    Kurz hat Colin den Eindruck, dass ihm seine rechte Hand von der Ecke des Spielbretts aus aufmunternd zuwinkt.
    Er erzählt …
        
     

Stuttgart, 13. Juni 2026
     
    Der neue Stuttgarter Hauptbahnhof war eine weiträumig abgesperrte Großbaustelle voller Turmkräne, Drahtgitterzäune und Betonmischer. Die Anzahl der Betreten-verboten-Schilder überstieg jegliche Vorstellungskraft. Nur akkreditierte Bauarbeiter und rote Engelchen mit schmackhaften Sonderausweisen durften das Areal durch kameraüberwachte Schleusen betreten. Reisende erreichten die von Zügen angefahrenen Behelfsbahnsteige auf unterirdischen Wegen. Neben dem alten, braunen Turm, der vom ursprünglichen Empfangsgebäude aus dem Jahr 1928 übrig geblieben war, standen in einem verwelkten Blumenmeer die Mahnmale für die Opfer der Demonstrationen gegen den Tunnelbahnhof.
    Freilich gehörten die meisten Blumen in Wirklichkeit zu Opfern, die der neue Bahnhof gefordert hatte. Hier trauerten Menschen um Angehörige oder Freunde, die von der GmbH aus dem Weg geräumt worden waren. Jeder wusste es, niemand konnte es aussprechen, ohne etwas später selbst eine Blume hingestellt zu bekommen.
    Colin war nervös. Er saß hinten in Herrn Günclüs Transporter und sah durch eine Art Briefkastenschlitz nach draußen. Überall standen Herren mit schwarzen Anzügen. Sie halfen Auswärtigen bei der Suche nach dem Weg, regelten den Verkehr, kalauerten mit Außerirdischen und hielten allgemein die Augen so dermaßen offen, dass Colin sich fragte, wozu man noch die ganzen Kameras brauchte. Andauernd fühlte Colin Blicke auf sich kleben, als wäre ein Kleintransporter in der Stuttgarter Innenstadt automatisch verdächtig und seine Wände nebenbei bemerkt durchsichtig. Die Anzugträger von der GmbH beobachteten die Band auf ihrem Weg zum Auftritt, sie warteten nur auf den richtigen Moment, um sie zu einer Befragung abzuholen. Vielleicht in einer Seitenstraße, vielleicht hinter der Bühne oder wenn noch ein letzter Beweis für das subversive Treiben der musizierenden Dissidenten benötigt wurde, unmittelbar nach dem Konzert.
    Colin war sicher, dass Wolf längst halb zu Tode gefoltert worden war und seine Qual abzukürzen suchte, indem er die Namen seiner verräterischen Genossen preisgab. Lieber schnell zum Bahnhof als die oberen Zähne auch noch einzeln mit einer stumpfen Automechanikerfeile abschleifen! Colin hörte, wie Hungerhaken Wolf seinen Namen rief, den Namen des Sängers, der es gewagt hatte, das böse Wort »Freiheit« in den Mund zu nehmen, und nebenbei bemerkt keine Ahnung hatte, für was das »Crap« in Crap Metal in Wahrheit stand. Der Kerl mit der Geige war der Untergang der Band, des unschuldigen Wolf und davon abgesehen sowieso eine Gefahr für die öffentliche Ordnung. Wolfs Winseln ging aus Colins Tagtraum über in einen schrägen, aber völlig realen Klingelton.
    Es war seine Mutter.
    »Laut Internet bist du jetzt ein Rocksänger. Gratuliere!«
    »Hm. Danke.«
    »Was machst du so?«
    Colin seufzte. »Ich bin mit der Band unterwegs. Wir spielen in Stuttgart. Nichts Besonderes im Angesicht von Engeln und Zwergen von fremden Planeten.« Es klang beiläufiger als glaubwürdig und enthielt die verschlüsselte Botschaft: »Ich bin so gut wie tot, leb wohl.« Anscheinend verstand Colins Mutter diese Botschaft aber nicht.
    »Dennis sagt, du sollst besser auf deinen Umgang achten. Was meint er damit?«
    »Zellengenossen zum Beispiel«, brummte Colin.
    »Was? Ich versteh dich nicht, die Verbindung

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