SchrottT (German Edition)
nicht zwingend erforderlich, ein Handwerk perfekt zu beherrschen. Es genügte auch die Bereitschaft, sich aufzuopfern, alles zu geben und keine Kompromisse einzugehen. Semiprofessionelles Geschick verbunden mit einer großen Portion Glück öffnete vielleicht auch genug Türen.
Colin wollte es drauf ankommen lassen. Eine Show als Frontmann einer Band. Vielleicht würde es der Start einer Karriere sein. Wenn er alles geben würde. Alles rauslassen würde, was drin war. Die ganze Wut, Liebe und all die anderen Gefühle, für die er zum Teil nicht einmal Namen kannte. Weil er noch zu jung war, um sie zu kennen.
Vielleicht war es die erste Show und die letzte. In dem Fall hatte er wenigstens alles versucht. Und eine Episode, die er später mal seinen Kindern erzählen konnte, wenn die ihm sagten, dass sie Musiker werden wollten.
»Deine Mutter?«, brummte James und warf Colin einen Seitenblick zu, bevor er sich wieder auf den Verkehr konzentrierte.
»Sie kommt nicht zur Show«, entgegnete Colin und starrte aus der Seitenscheibe.
»Hört sie lieber Klassik?«
»Sag nichts gegen Klassik.« Colin hob den Zeigefinger. Er hatte schlechte Laune und war nicht dazu bereit, überflüssigen Streit zu vermeiden. »Typen wie Mahler oder Bruckner rocken dermaßen ab, dagegen können ne Menge sogenannter Hardcore-Bands einpacken.«
»Kenn ich nicht.«
»Das kann ich dir bei Gelegenheit ja mal vorspielen, wird dir gefallen.«
James bremste. »Wir sind da. Ich hab übrigens nicht ignoriert, dass du der Frage nach deiner Mutter ausgewichen bist.« Aus tiefbraunen Augen fixierte er Colin. »Hm. Würde ich auch tun, wenn du mich fragen würdest. Eltern sind irgendwie was Seltsames. Mal sind sie dir peinlich, mal bist du ohne sie ein toter Mann. Krass, echt.«
Colin nickte langsam. Nach einem tiefen Atemzug öffnete er die Tür und sprang nach draußen. Um ein Haar hätte er einen Engel umgerannt, aber der existierte zum Glück gar nicht.
Colin zitterte am ganzen Körper, als er die Bühne betrat, aber nichts verschafft mehr Selbstsicherheit als eine Horde jubelnder Fans.
James donnerte ein paar Riffs durch den proppenvollen Club, dass der Putz von der Decke rieselte. Und selbst Tier wippte gelegentlich arhythmisch mit dem Kopf. Natürlich verwahrte sich die Band ihren Top-Titel bis zur letzten Zugabe. Colin kippte sich eine Flasche Wasser über den Kopf, bevor er dazu in der Lage war, für den letzten Akt ans Mikro zu treten.
»Freunde«, rief er in das rhythmische Klatschen hinein, »wir sind noch nicht ganz fertig. Aber fast.« Ein herber Geruch stieg in Colins Nase. Als er die Ursache begriff, musste er grinsen. »Wie fast fertig wir sind, seht ihr daran, dass ich mir versehentlich Bier statt Wasser über den Kopf gegossen habe. Aber okay, das kühlt auch.«
Das Publikum johlte und fing an, Bier über Nebenleute zu kippen. James spielte einen Riff, der sich vom Grollen eines Dinosauriers in das Quietschen einer Maus verwandelte, die gerade zu Billig-Katzenfutter zertreten wurde.
Colin hob die linke Hand. »Ein Lied haben wir noch.«
»Freeee!« riefen vereinzelte Fans.
»Wer hat euch das denn verraten?«, scherzte Colin. »Außerdem stimmt es nicht so ganz. Unser Lied heißt nicht … Freeee. Es heißt …« Er holte Luft und brüllte: »FREEEEEE!«
Mit einer Art Explosion, die wie ein Bombenattentat auf eine Zahnradfabrik klang, setzte Tiers Drumcomputer zu einem donnernden Countdown an.
»Freiheit kriegt ihr nicht, wenn ihr mal vorsichtig nachfragt, ob vielleicht jemand ein bisschen für euch übrig hat«, rief Colin. Er zog das Mikro vom Stativ und sprang auf eine Monitorbox. »Freiheit kriegt ihr nicht, wenn ihr auf dem Amt ein paar Formulare ausfüllt. Nicht mal, wenn es die richtigen sind.«
Das Publikum schrie irgendwas. Egal.
»Freiheit«, fuhr Colin fort, »ist nichts, was euch einfach so passiert wie ein Regenschauer oder eine Erkältung. Es ist mehr wie ein Last-Minute-Sieg im Spitzenspiel oder wie ein echt guter Ausbildungsplatz oder wie ein neuer Highscore am Flipperautomat. Wir müssen dafür kämpfen! Alles geben, was wir haben, und wenn das nicht reicht, den Rest auch noch! Den allerletzten Rest!«
Der Countdown war vorbei, und James schrammte mit einer verrosteten Feile schmerzhaft langsam an seinen oberen Saiten entlang, jedenfalls klang es so. »Unsere Freiheit«, rief Colin, »ist nichts, was denen da oben nützt. Aber uns. Und wir sind mehr. Und das müssen wir zeigen. Indem wir laut
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