SchrottT (German Edition)
…«
»Ich sagte: Keine Ahnung«, wiederholte Colin lauter.
»Warum sagt er, du bist nicht zu deiner Schicht erschienen?«
»Was?« Colin drückte sich das Handy ans Ohr, bis es schmerzte. Er hielt sich am Sitz fest, denn der Lieferwagen bog scharf rechts ab. James konnte definitiv besser Gitarre spielen als Auto fahren. Er fluchte leise, denn es hatte zu nieseln begonnen und die Wischblätter erschufen auf der Windschutzscheibe ein ansehnliches, aber nahezu undurchsichtiges Streifenmuster. So ähnlich wie Fahrer und Straße ging es gerade Colin und seiner Mutter.
»Du bist heute nicht zu deiner Schicht …«
»Hab ich verstanden, Mama. Ich habe heute keine Schicht.«
»Also, wenn der Dennis sagt …«
»Verdammt, Mama«, rutschte es Colin raus, »ich habe keine Schicht, und ich bin in Stuttgart, auf dem Weg zu einer Show.«
Kurze Stille am anderen Ende der Leitung. Dann: »Welche Band spielt denn?«
Colin holte Luft. »Wir, Mama. SchrottT. Die Band, in der ich spiele. Ich trete auf. Und es würde mich nicht wundern, wenn Papa Länglich den Dienstplan umgebaut hat, damit ich heute eine Schicht habe. Fragt sich nur, warum er es mir nicht mitge…«
»Jemand von der Firma hat hier angerufen«, unterbrach Mama. »Aber du warst ja nicht da.«
»Die haben meine Handynummer. Wenn sie gewollt hätten, dass ich von der Planänderung erfahre …« Colin verstummte.
Seine Mutter klapperte mit ihrem Telefon. Vielleicht räumte sie gleichzeitig die Küche auf, das war typisch für sie. Ordnungstrieb gegen Nervosität. »Glaubst du wirklich, dass du mit einer Karriere als Musiker Geld verdienen kannst?«
»Ich glaube es nicht nur, ich weiß es.« Colin versuchte, sich zu entspannen. »Die zahlen uns 400 Euro für den Auftritt. Das ist nicht viel, aber es ist ein Anfang.«
»Das ist fast eine halbe Monatsmiete«, sagte Mama.
»Ich zahle im Moment keine Miete, Mama. Papa Länglich macht das.«
»Wie lange noch, wenn du deinen Schichten fernbleibst?«
Colin schnaubte. »Merkst du nicht, was er versucht? Er manipuliert. Das kann er wirklich hervorragend. Aber nicht mit mir.« Ihm fiel etwas ein. »Überlebe ich es, wenn ich das Päckchen öffne, das er mir geschickt hat?«
»Päckchen? Ich … weiß nichts über ein Päckchen.« Die Aufräumgeräusche wurden lauter. Mamas Aufmerksamkeitsfokus verschob sich.
»Hab ich heute früh aus der Packstation geholt. Absender ist ein gewisser Dennis J. Länglich. Wofür steht eigentlich das J?«
»Was ist denn drin?«, fragte Mama.
Colin seufzte. Natürlich hatte sie nicht richtig zugehört. »Ich habe es noch nicht ausgepackt. Es liegt hinten im Wagen.«
»Vielleicht ein Geschenk?«
»Klar«, versetzte Colin. »Zuckerbrot und Peitsche. Was kommt als Nächstes? Emotionale Erpressung?«
»Ganz so schlecht solltest du wirklich nicht über den Dennis reden, fin… ich.« Aussetzer zerstückelten Mamas Stimme. Entweder ein Funkloch oder überlastetes Mobilfunknetz. »Bisher hat er dir doch nichts Schlimmes getan.«
»Er ist gerade dabei, Mama.«
Colin wagte einen Seitenblick auf James, aber der konzentrierte sich nur auf den Straßenverkehr, oder er war ziemlich gut darin, genau diesen Anschein zu erwecken. Ein enttäuschtes Fiepen lenkte Colin vollends ab. »Shit, der Akku ist … Mama? Bist du noch dran?«
»Du wirst eine Entscheidung treffen müssen, Colin.«
»Warte. Moment.« Colin senkte das Handy. »James? Hast du ein Ladekabel?«
»Eine Induktionsmulde habe ich.«
»Shit, dafür ist mein Teil zu altmodisch. Es braucht noch ein Kabel.«
»Damit kann ich nicht dienen, Chef«, sagte James, ohne den Blick von der Straße zu wenden.
»Mama?« Colin hielt sich das Handy wieder ans Ohr. »Mein Akku ist gleich am Ende. Ich rufe dich nach der Show an, okay?«
»Verstehe«, sagte Mama. »Du hast deine Entscheidung im Grunde getroffen. Denk aber bitte dran, dass jede Entscheidung gegen Dennis jetzt auch eine gegen mich ist.«
»Sag doch nicht … Mama?« Das Handy fiepte erneut, diesmal klang es ziemlich endgültig. »Mama? Shit!« Colin schob das leblose Gerät in die Hosentasche.
Dann merkte er, dass er schweißgebadet war.
Eine Entscheidung sollte er treffen? Nicht für oder gegen seine Mutter, aber für oder gegen Länglich. Das war neuerdings dasselbe, hatte Mama gesagt.
Für oder gegen die Band. Seinen Traum.
In einer Hinsicht hatte seine Mutter recht gehabt: Man konnte sich nicht einfach hinstellen und sagen: »Jetzt bin ich Künstler.« Allerdings war es
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