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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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großen Lastwagen waren sie ihr gebracht und hier abgestellt worden. Handwerklich sehr sauber gearbeitete Steinfiguren von einschüchternder Größe und bedrohlichem Aussehen. Auf einem Papier, das Frau Nemec unterschreiben mußte, waren die Engel, dem Wortlaut des Testaments folgend, beschrieben: » 1 Würgengel. Aus dem Steinsockel sich heraushebend und hervorkommend dringt er auch durch Stein in alle Häuser und greift nach seinen Opfern. Seine Flügel ragen wie Feuersäulen gegen den Himmel. Sockel 105 x 90 x 75, Höhe der Figur ab Sockel 205 cm. 1 Engel mit Zornesschale. Einer der Engel des Gerichts, der Gottes Zorn in einer Schale trägt. Der Zorn Gottes fließt über und strömt als Blut über die Erde. Sockel 90 x 90 x 35, Höhe der Figur ab Sockel 245 cm. 1 Posaunengel des Jüngsten Gerichts. Er hat vier Flügel, einen sich zu bedecken, einen, um sich vor der überwältigenden Majestät Gottes zu schirmen, zwei, die er weit ausbreitet, um die Sonne zu verdunkeln. Er ist mit Haaren, Mündern und Zungen bedeckt, die durchnäßt sind von der Tränenflut, die an ihm herabrinnt. Sockel 90 x 90 x 35, Höhe der Figur ab Sockel 260 cm. «
    Der Kran des Lastwagens hatte die Engel von der Ladefläche vor ihr Haus schweben lassen, dann mußte Frau Nemec den Empfang bestätigen. Drei Engel dankend erhalten.
17.
    Der Bürgermeister hatte nie etwas dagegen gehabt, wenn man ihn King rief. Dies bestätigte ihn in seinem jovial-komplizenhaften politischen Stil, ohne aber einen Zweifel daran zu lassen, daß er das Sagen hatte.
    Im Jahr 1935 war der Bürgermeister als Adolf Kral zur Welt gekommen. Im Jahr 1938 hatte sein Vater den tschechischen Familiennamen eindeutschen lassen, seit damals hieß er Adolf König. Als 1988 den österreichischen Autofahrern die Möglichkeit eines sogenannten Wunschkennzeichens gegeben wurde – maximal vier Buchstaben plus mindestens eine Zahl, die man sich selbst aussuchen durfte –, bestellte der Bürgermeister die Nummerntafel KING 1 für seinen Mercedes.
    Seither war er für alle der King, End- und Höhepunkt einer Namensgeschichte, bei der keine Steigerung mehr möglich schien, die aber nun doch eine neue Wendung zeitigte: Jemand hatte – mit Filzstift, leicht zu entfernen, aber dennoch! – das Wort KING auf der Nummerntafel seines Autos mit KONG ergänzt, ein Frevel, der ihn schäumen ließ vor Wut. Er saß in seinem Zimmer im Gemeindeamt und phantasierte Vergeltungsmaßnahmen, ohne eine Möglichkeit zu sehen, den Täter auszuforschen. Und gerade in dieser Situation rief pausenlos die Nemec an und quälte ihn mit ihren drei Engeln. Was für Engel. Er verstand überhaupt nichts. Nein, er hatte keinen Gebrauch für Engel, er kenne auch niemanden anderen, der Verwendung für Engel – Was? Zornengel? Posaunengel? Was ist ein Posaunengel? – Nein, er wisse auch nicht, wie man Engel entsorgte. Schon die Entsorgung der Tierkadaver bereitete ihm genug Probleme. Zunächst hatte er Anweisung gegeben, die Kadaver zu verbrennen und allfällige Reste zu verscharren, na wo denn? Meinetwegen am Friedhof!, bis Trisko – ein Grüner im Gemeinderat hatte ihm gerade noch gefehlt, das ist der Anfang vom Ende gewesen – ihn darauf aufmerksam gemacht hatte, daß das nicht so einfach gehe, es gebe Bestimmungen, Tierverwertung et cetera, dann war ihm gemeldet worden, daß einige Arbeiter sich tote Rehe einfach nach Hause schafften, eine Grube im Wald ist doch keine Tiefkühltruhe, aus der man sich bedienen kann, jeder machte, was er wollte. Auch die Aneignung von Tierkadavern fiel unter die Gesetze gegen das Wildern und verstieß zudem noch gegen hygienische und volksgesundheitliche – Nein, er habe keine Zeit, sich diese Engel anzusehen, was wir jetzt bräuchten, wären Schutzengel, er brüllte diesen Satz ins Telefon, ohne, wie er es früher getan hätte, bei seinem eigenen Witz laut zu lachen. Wenn er den Janda anrief, um Anzeige gegen den unbekannten Nummerntafel-Frevler zu erstatten, dann wüßte in vierundzwanzig Stunden die ganze Gemeinde die KING-KONG-Geschichte, und er würde diesen Namen nie wieder loswerden. Was tun? War er vielleicht schuld an der Arbeitslosigkeit? An Klimakatastrophen? Diese Gemeinde, in der alles, so wie es war, wie für die Ewigkeit gemacht schien, so wie der Granit, von dem sie hier gelebt hatten, hieß auf einmal strukturschwach. Zerbröselt dem KING KONG unter der Hand. Noch einmal die Frau Nemec. Nein, sagte König, nicht durchstellen, er habe eine Besprechung.
    Er

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