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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Wer weiß, vielleicht würde er wirklich sehr bald wieder zurück sein.
    Ich muß zurück nach Österreich.
    Nimmst du mich mit?
    Nein.
    So stand er alleine auf der Straße vor seinem Haus, im Sonnenschein, der ihn blendete, mit einem Gefühl, das man bei Nacht und Nebel hat, vor sich das Taxi mit der geöffneten Wagentür. Zwei Koffer, mehr nicht, waren schon im Kofferraum verstaut. Noch einmal hielt er inne, schloß die Augen und versuchte, sich das Haus, das sich hinter seinem Rücken befand, in dem er die letzten Jahre gewohnt hatte, mit all seinen Details vorzustellen – es gelang ihm nicht. Es nahm keine Gestalt an. Dies versetzte ihm einen Schock, den er wie einen Schlag in den Rücken empfand.
    Na was ist, Chef, steigste nun ein, oder nicht?
    Nun ging es heim. Heim, das gab es nicht mehr. Was wird dort sein? Ich weiß es nicht.

2. Kapitel
    Ich erinnere mich an den Sang
    der Amsel im Garten.
    Aber wie soll ich mich daran erinnern
    ob sie es war die sang?
    Jenaro Talens

1.
    Das Bauernhaus war ein Bauernhaus. Genauso wie er es befürchtet hatte. Es hätte noch schlimmer sein können. Immerhin hatten sie mittlerweile ein Wasserklosett eingebaut. Weiß verfliest, da und dort waren Kacheln gesetzt, die im naiven Stil mit Waldpilzen bemalt waren. Auf Roman wirkten sie alle furchtbar giftig.
    Und das, mein Schatz, ist dein Zimmer.
    Ein kleiner Raum, mit buckeligen, frisch getünchten Wänden und einem kleinen Holzfenster, das offenbar neu war, aber zweifellos dem Original nachgebaut, allerdings mit Thermoverglasung. Der enge Raum war eine Gerümpelkammer seiner Kindheit. Alles, was er je besessen hatte, was aus irgendeinem Grund nie weggeworfen worden und in seinem ehemaligen Zimmer oder im Abstellraum der Wiener Wohnung verstaut gewesen und vergessen war, ist nach dem Verkauf der Wohnung in dieser für ihn bestimmten Kammer des Bauernhauses gelandet.
    Der Teddybär mit dem abgeschnittenen Ohr, die Puppen, die Schachtel mit den Bausteinen in verschieden Farben, die große Schachtel mit dem Matador- Holzbaukasten, der Chemiekasten, die Brettspiele, die Kinderbücher, in seinem ersten Bücherregal, späte fünfziger Jahre, zwei schwarzlackierte Metallseitenteile, in die die blau-, rot- und gelblackierten Regalbretter eingehängt waren, sein erstes Tennisracket, ein Dunlop-Maxplay aus Holz, das mittlerweile völlig verzogen war, zusammengerollte Poster, was für Poster, er öffnete eines – Che Guevara. Um es ganz schlimm zu machen, hatte seine Mutter noch dazu ein Bild, das er als Kind, als Volksschüler, gemalt hatte, in einem alten Rahmen an die Wand gehängt, es zeigte einen Tisch, auf dem, perspektivisch verunglückt, eine Schüssel stand, mit – wie man auf den zweiten Blick erkennen mochte – Bananen darin. Er hatte groß DIE WUNDERBAREN BA darunter geschrieben, und dann, weil ihm der Platz ausgegangen war, klein ins Eck: nanen.
    Sein Bett, sein Schrank aus der ehemaligen Wiener Wohnung, und, genau hineingepaßt zwischen Schrank und Fensterwand, ein kleiner Tisch, ein einfacher alter Holztisch, das einzige Stück, das er nicht wiedererkannte.
    Der war schon hier in diesem Haus und hat genau hergepaßt. Dein alter Schreibtisch ist ja zu groß, der steht jetzt in Richards Werkstatt. Aber ich habe mir gedacht, du brauchst ja einen Tisch in deinem Zimmer zum Schreiben.
    Davor stand ein Stuhl, einer der sechs Stühle, die in Wien um den Eßtisch gestanden hatten. Sechziger Jahre, die Sitzfläche mit türkisfarbenem Stoff überzogen.
    Zum Schreiben. Ja. Zur Not konnte man hier schreiben, dachte er. Aber was? Briefe nach São Paulo, wie sehr er das Landleben hier genieße, die Unschuld einer neuen Existenz, den unmittelbaren Kontakt zur Natur? So groß war seine Not noch nicht.
    Wo ist dein Mann?
    Richard? In Peugen. Er kommt später am Abend nach Hause. Er macht einen Imker-Kurs.
    Er macht was?
    Einen Imker-Kurs. Wir wollen ja auch unseren eigenen Honig haben.
    Summ, summ, summ, Bienchen summ herum, sang seine Mutter vergnügt, Roman hatte kurz den Gedanken, sie einfach in dieses Zimmer einzusperren und abzureisen. Dann zeigte die Mutter ihm die Ställe. Roman mußte zugeben, daß die Stallungen etwas Idyllisches, etwas Bilderbuchhaftes hatten. Wenn man Tiere mochte. Hier wurden sie offenbar gemocht. Er kannte sich mit Tierhaltung naturgemäß nicht aus, aber es war selbst für ihn deutlich, daß hier auf sehr sorgfältige und liebevolle Weise alles getan wurde, was geeignet war, das Romantische mit dem

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