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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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gelandet ist. Die Kilos der Lebensmittel, die sie in den Müll kippt, bucht sie im Geist bereits von ihrem Körper ab. Du wirst sagen, ich übertreibe, Er hält ja alles für Marotten natürlich kann er dann leicht die ganze Welt lieben meinetwegen aber das Problem das eigentliche Problem vielleicht hast Du recht, aber das eigentliche Problem kommt erst. Das Problem ist in Wahrheit nämlich nicht das Essen, sondern das Geschirr. Das ist mir heute beim Mittagessen beziehungsweise Nicht-Essen klargeworden klar? Irgendwie ja klargeworden . Wie das erklären ich sitze da und starre den Teller an nein der Teller starrt mich an das heißt ich starre den Teller an als würde der Teller mich anstarren wie das begreiflich machen der Teller starrt mich an? Ich saß da und starrte den Teller an und dann habe ich ihn wiedererkannt nein zuerst die Angst es war die Angst und dann erst empfand plötzlich eine so unerträgliche Angst, warum diese Angst? Da habe ich diesen Teller wiedererkannt, und es war dieses Wiedererkennen , dieses Wiedererkennen es war dieses Wiedererkennen das war dieses Wiedererkennen das das auf diesem Teller lag wie wie wie eine vergiftete Madelaine, sozusagen. Ich sah auf von meinem Teller, die anderen Teller, die Schüsseln, die Töpfe, das Besteck, ja, kein Zweifel, es war eines der Service und Geschirrgarnituren, die mein Vater gekauft hatte, der immer das Geschirr gekauft hat es ist verrückt diese Geschichte aber sie war einmal normal natürlich war sie nie normal aber Mein Vater war, soweit ich mich an ihn erinnern kann, ein Mann, der ständig Angst hatte. Mein Vater und Angst, das war identisch. Darum hat er unentwegt Geschirr gekauft. Seine Angst muß so groß gewesen sein, daß er sie, um mit ihr leben zu können, irgendwie kanalisieren mußte. Meine Kindheit war ein System von eigenartig löchrigen Ritualen, in denen die Angst meines Vaters irgendwie versickern konnte. Also das Geschirr. Wir hatten zu Hause zwei komplette Garnituren Geschirr. Warum? Für Milchprodukte und Fleisch je ein eigenes Geschirr Vater warum? Koche nie ein Böcklein in der Milch seiner Mutter steht in der Bibel steht dreimal in der Bibel daraus leitet sich ab das bedeutet hat er gesagt aha damit war es so es war einfach so nicht einfach jedenfalls so war es Das ist so ein jüdisches Koch- und Speisegesetz, das mein Vater befolgen wollte, obwohl er eigentlich kein gläubiger, zumindest kein orthodoxer Jude war, ich bin sicher, er hat in Wahrheit nichts auf koscher Essen gegeben, also im Sinn der Religion, ich meine, daß er glaubte, daß das irgendeinen Sinn hat , Ich bin kein Jude ich wurde nur als Jude verfolgt hat er gesagt hat er gesagt und meine Mutter glaubte das schon gar nicht. Jedenfalls hat er aber zwei Garnituren Töpfe und Teller und Besteck gekauft. Das Groteske war allerdings, daß die beiden Garnituren absolut identisch waren, das heißt, er konnte, sich zu Tisch setzend, am Teller, der vor ihm stand, nicht erkennen, ob es der richtige war. Er konnte es nur hoffen. Aber er mußte zugleich befürchten, daß meine Mutter, die die Trennung der Service als Larifari empfand, die Sache nicht so genau nahm. So hatte seine unermeßliche Angst hier wenigstens ein konkretes und zugleich ein verhältnismäßig unbedrohliches Gegenüber, nämlich diese banalen Teller, die hinter seinem Rücken vielleicht, aber nicht sicher, in der Küche, die er vorsorglich kaum betrat, ununterbrochen verwechselt wurden. Milch und Fleisch, das kam sicher? sicher im Lauf der Zeit in dieselben Töpfe und auf dieselben Teller, auch wenn es hieß, wir haben ein Milchgeschirr und eigens ein Fleischgeschirr. So konnte er seine Angst kultivieren und, wenn sie eines Tages doch wieder zu groß wurde, kurzfristig bewältigen: Er kaufte einfach zwei neue Garnituren Geschirr, die natürlich wieder absolut gleich waren, und warf die alten eigenhändig weg. Das geschah mit einer gewissen Regelmäßigkeit, als Kind war das für mich ganz normal, ich dachte, das ist bei allen Familien so. Ich sehe ihn vor mir, wie er am Eßtisch sitzt, seinen Teller anschaut, und Angst hat. Ist es der richtige? Aber er wollte es natürlich nicht wirklich wissen, sonst hätte er doch nicht immer identische Service gekauft. Wenn sie unterscheidbar gewesen wären, und er erkennen hätte können, daß alles korrekt war, er hätte dennoch Angst gehabt, dann allerdings ohne zu wissen, wovor.
    Und erst heute, nach Wochen hier im Haus meiner Mutter, ist mir aufgefallen, daß es

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