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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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die Idee noch nicht gehabt. Oder er hatte sie schon gehabt, ohne es zu wissen.
    Der Bürgermeister ging quer über den Platz, dunkelblauer Anzug, hellblaues Hemd, Sonnenbrille mit Metallfassung (die Sonne schien nicht), das Haar wie pomadisiert. Beim Steinbrunnen spielten zwei Kinder, daneben lagen ihre Fahrräder. Der Mann im dunkelblauen Anzug blieb bei den Kindern stehen, griff in die Sakkotasche, holte etwas heraus, zwei Streifen Kaugummi, die er V-förmig den Kindern hinhielt,
    Ein österreichischer Churchill!
    Nein, der King! die sie nahmen, auswickelten und in den Mund steckten. Einem der beiden Jungen fuhr er durchs Haar, ein paar Worte mit geneigtem Kopf, dann ging er weiter. Eine alte Frau kam mit einem Fahrrad vorbei, ein Einkaufskorb hinten auf dem Gepäckträger. Der Mann hob den rechten Arm und machte eine kurze winkende Handbewegung.
    Hat er eigentlich Goldzähne, ich meine, solche, die man sieht, wenn er lacht?
    Ich weiß nicht. Warum?
    Er ist irgendwie der Typ.
    Find ich nicht.
    Was hat er eigentlich vorher gemacht, beruflich, bevor er Bürgermeister wurde?
    Ich glaube, er war Betriebsrat in der Glasfabrik. FF.
     
    Flimmern.
    Das einzige, was dem Bürgermeister zu diesem Zeitpunkt klar gewesen ist, war, daß er die Glasfabrik irgendwie retten wollte. Und er hatte gewußt, daß dies möglich war. Der Kanzler selbst hatte ihm einen neuen Manager nahegelegt, der sie, bei entsprechender Startförderung, die im Falle eines entsprechenden Gemeinderatsbeschlusses auch zugesichert war, übernehmen würde. Kein Preß-, kein Billigglas mehr, nur noch Qualitätsglas, Gourmetglas hatte dieser Manager bei einem Vorgespräch gesagt, dafür gebe es einen wachsenden Markt, wo nicht bloß auf den Preis geschaut werde. Allerdings nur mit einem Viertel der alten Belegschaft. Und die anderen drei Viertel? Mit einem Viertel könnte sich die Fabrik rechnen, hatte der Mann gesagt, ohne auf Königs sonstige Sorgen einzugehen, und wenn es hier mehr Tourismus gäbe, hatte der Mann gleich weiter ausgeführt, mit dieser dynamischen Gestik und dem kantigen Mund, wie sie die jungen Manager jetzt immer hatten auf den Fotos in den Wirtschaftsseiten, dann könnte man sie auch durchschleppen durch die Fabrik, darauf fahren sie ab, wenn sie die Männer mit den nackten Oberkörpern sehen vor den Öfen mit den glühenden Dingern da
    Hafer, das sind die Hafer, und die Wannen
    Ja, wie sie artistisch dieses lange Röhrl schwingen
    Das Pfeiferl, so nennen wir
    Ja, auf dem zum Beispiel ein Weinglas Gestalt annimmt, ein ganz zartes Gebilde, grad war es noch ganz weich und formbar, und da nimmt es dieser Hilfsarbeiter schon mit der Zange ab, mit der Zange
    Der Einträger
    Ja, der, und stellt es auf das Förderband
    Das Kühlband
    Das Kühlband, und dann können die Touristen diese Gläser gleich kaufen, im Set, mit Preisvorteil, Ab-Fabrik-Verkauf hatte der Mann mit dem viereckigen Mund gesagt, da ließe sich einiges machen.
    Hör zu, hatte König schließlich zu Macho gesagt, wir müssen zu einer Entscheidung kommen, wir müssen beide über unsere Schatten springen. Deine Geschichte mit den Weltraumfenstern ist gestorben, da sind wir uns einig, wir müssen uns etwas Neues – warte, laß mich ausreden. Überleg dir doch, wer deine Wähler sind. Die Arbeiter wählen mich, die Bauern wählen dich, so ist das nun einmal. Und jetzt erklär deinen Bauern, daß du ihnen nichts anderes anzubieten hast als vielleicht eine Mondraketenfensterfabrik in Komprechts, was werden sie sagen? Wenn wir Roten den Bauern was geben, sagen sie Vergelts Gott und wählen schwarz, stimmts? Aber wenn ihr Schwarzen für Mondfabriken seids, dann wählen sie gar nicht, stimmts oder hab ich recht? Ohne Wähler hast du kein Mandat, so ist das. Aber wenn du ihnen was zu bieten hättest, so wie wenn ich zum Beispiel den Arbeitern sagen könnte, daß die Fabrik wieder anfährt, warte! Wenn du also deinen Bauern sagen könntest, jeder bekommt aus dem Strukturreformbudget Hundertfünfzigtausend oder Zweihunderttausend, das müssen wir uns noch durchkalkulieren, bar auf die Hand, ich meine, du könntest ja sagen, warum sollen die Bauern bei der Strukturreform nicht eingebunden werden? Nicht wahr? Bar auf die Hand, damit wir uns richtig verstehen, was heißt wofür? Damit sie investieren können, meinetwegen in einen betrieblichen Zusatzerwerb, Gästewohnungen im Hof, für Urlaub am Bauernhof, verstehst du? Was heißt, erklär mir das? Ich denk doch nur laut nach.
    Er hatte die

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