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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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seiner Mutter, mit sich selbst, all die Absurditäten, die er in seinem Brief anzudeuten versucht hatte, würde Norbert doch gar nicht ernst nehmen, höchstens in einem hektisch hingeworfenen Postskriptum würde er mit diesem launigen Pragmatismus, der in seinem Leben eigentümlicherweise immer funktionierte, kurz darauf eingehen, P.S.: Übrigens, lieber Roman, warum setzt Du Dich eigentlich immer zu den gemeinsamen Mahlzeiten, wenn Du dann ohnehin nichts ißt? Und, natürlich, rasch noch mal ein P.P.S.: Wie wärs, wenn Du das Service wegwirfst und zwei neue kaufst? Liebe Grüße, eine feste Umarmung von Deinem Norbert. Immer noch war sein Blick zum Fenster gerichtet. Der Schneefall wurde stärker. Er sprang auf, lief zum Fenster, es schneite! Wieso schneite es? Es hatte sich doch schon längst der Frühling abgezeichnet, deutlich, unaufhaltsam – trügerisch, nun schien sich noch einmal der Winter einzurichten, er sah, daß der Schnee liegenblieb. Eine seltsame Erleichterung erfaßte ihn.
11.
    Ich will ein Kind und
    Nicht von mir.
    Dolfi, weißt, ich komm jetzt in ein Alter, wo ich
    Wart ein bißl.
    Überraschend bald nach diesem Gespräch im Extrazimmer des »Hirschen« feierte Verena Hrdlicka Hochzeit. König war – was war er? Gekränkt? Eifersüchtig? Sie mußte ihren Karli schon die längste Zeit im Talon gehabt haben! – erleichtert, ja, er fühlte sich auch erleichtert, auch, aber immerhin: befreit von einem Druck, den er zunächst fast dramatisiert hätte: Jetzt werde alles aufkommen, sie werde hysterische Anfälle bekommen, ihn unter Druck setzen, zu erpressen versuchen – nichts von alledem. Sie heiratete den Schandl, und der Fall war erledigt.
    Bei der Hochzeitsfeier im »Hirschen« hielt er, schon einigermaßen betrunken, eine nicht unpeinliche Tischrede, bei der der Druck, unter dem er politisch und privat in der letzten Zeit gestanden hatte, gleichsam öffentlich entwich. Er wünschte dem Brautpaar Glück und Zufriedenheit, unserem Karli, den wir als geduldigen und fleißigen Mann kennen, der, ohne sich ins Rampenlicht zu drängen, das Seine tut (lange im Talon! – Das ging König nicht aus dem Kopf), und unserer Verena, die von uns Hirschen (das war tatsächlich ein Synonym für die Stammgäste dieses Gasthauses) immer geliebt werden wird, auch wenn wir ihren Wechsel in ein anderes Revier, wenn ich so sagen darf, natürlich sehr bedauern. Dann kam er darauf zu sprechen, daß nun wohl Nachwuchs für die Gemeinde zu erwarten sei. Wenn er in der Schule richtig aufgepaßt habe (einige Lacher), im Sexualkundeunterricht (Gelächter), dann könne man das Kind, das nun wohl produziert werde – oder ist schon was unterwegs, nein, nein, die Braut hat ja in Weiß geheiratet (Gelächter) –, wie gesagt, wenn er richtig hochrechne, dann könne man das Kind exakt zur nächsten Jahreswende erwarten. Das heißt, rief er aus, wenn alles gut geht, dann wird das nächste Neujahrsbaby ein Komprechtser sein (anhaltendes Gelächter), ganz Österreich werde dann, dank Karli und Verena, nach Komprechts blicken, eine Werbung, die gerade in der neuen historischen Etappe, die jetzt in unserer Gemeinde beginnt, von unbezahlbarem Nutzen sein wird. Es heißt also Daumen drücken und (langanhaltendes Gelächter, Johlen, Füßetrampeln).
    Die neue historische Etappe. Worauf er da in seiner Rede anspielte, war das Programm »Komprechts 2000«, das vom Gemeinderat vor kurzem einstimmig beschlossen worden war und das auch seinen Bürgermeisterposten retten sollte. Die Königsidee. Aus dem Nichts entstanden, durch eine Flucht nach vorn, in den informellen Gesprächen mit Macho und Trisko, vor denen er noch keine konkrete Vorstellung gehabt hatte, ausgenommen der einen, daß, alleine schon wegen der Optik, weil alle es erwarten, ein Beschluß fallen mußte, und daß dieser Beschluß unbedingt einstimmig fallen mußte, damit nachher keiner sagen konnte, er habe es besser gewußt.
    Auf dem Weg zu Macho hatte er auf der Bank beim Kriegerdenkmal einen Fremden gesehen, mit einem Gerät auf dem Schoß, einer Videokamera. Ein Tourist? Wie hatte Kastner, der Eigentümer des »Hirschen«, unlängst gesagt?
    Ich sperr zu, Dolfi, worauf soll ich warten. Die unsrigen haben kein Geld mehr, und Fremde, die ein Geld herbrächten, kommen keine.
    Ist das fix?
    Mehr oder weniger.
    Wart noch ein bißl.
    König hatte kurz den Blick über die Fassaden des Platzes streifen lassen, wobei er mit den Augen eines Touristen zu schauen versuchte. Da hatte er

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