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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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vorgehaltener Kamera und unablässig brennender Zigarette durch die Tage treiben, irgendwie aktiv, aber dabei immer apathisch, er begann gewissermaßen ohne sich selbst zu leben. Er kaufte ein zweites Videogerät, so daß er Aufnahmen von einem aufs andere überspielen und sie dadurch, wenn auch technisch sehr primitiv, schneiden konnte, seine Ersparnisse schmolzen dahin, es war ihm egal, sie waren ohnehin zu gering, um eine Entscheidung treffen zu können, die sein Leben qualitativ verändern würde.
    Romy dreht jetzt einen Film. Ihr werdet sehen, er wird noch ins Fernsehen kommen.
    Solche Sätze gingen nicht nur Roman auf die Nerven, so taub und betäubt er sich auch fühlte, auch Richard zeigte immer öfter und immer deutlicher Anzeichen von Irritation, und die Bio-Bauern und Aussteiger wollten ebenfalls bald nicht mehr zu Anne kommen, die dasaß mit Zigarette und Weinglas, von ihrem schwammigen seltsamen Sohn schwärmte und dann, wenn das Gespräch endlich auf die anstehenden Probleme ihres Projekts zurückgeführt wurde, kurzerhand die Sinnfrage stellte.
    Dann geschahen die Katastrophen, die Tragödien, von denen Roman lange Zeit nichts mitbekam, weil sie von seinem Hochsitz aus nicht zu sehen waren und weil er, auch wenn er sich mittendrin befand, immer irgendwie abwesend war, was für Katastrophen? Sie reichten ja doch nicht an die seine heran.
    Zunächst war es nur ein Name, der Name einer Frau, dieser Name wurde bald von Anne durch den Begriff die Schlampe ersetzt, diese und ihr Mann, ein ausgestiegener Lehrer, waren öfter hier beim Bio-Bauern-Treff gewesen, dann war der Mann plötzlich weg, zurück nach Wien, wiedereingestiegen in der Schule, das nahm man zumindest an, was sollte er denn sonst machen? Wem gehört denn deren Bauernhof eigentlich, na ihr, die Schlampe hatte das Geld geerbt, mit dem sie ihn gekauft haben, von wem redet ihr eigentlich, ach so, von der, es war die einzige Frau dieser nicht mehr zusammenkommenden Runde, die Roman gefallen hätte, wenn es vorstellbar gewesen wäre, daß er sie vom Bio-Wahnsinn und sie ihn von sich selbst erlösen hätte können, aber das ist ein anderes Kapitel, das übrigens nicht länger war als ein Blick auf ein erstaunt sich abwendendes Gesicht, ein Blick, der abgerutscht war, ihren Körper hinunter, und sich dann selbst gesehen hatte, im Badezimmer, als Roman, vor dem Zu-Bett-Gehen, im Gefühl, immer noch wehmütig sehnsüchtig zu blicken, im Spiegel die verquollenen roten Augen in seinem aufgedunsenen Gesicht gesehen hatte. Aber das, diese Frau und seinen Blick auf sie, hatte er schon längst vergessen, jedenfalls um diese Frau ging es, die Schlampe, die macht es ja mit jedem – ach ja? Nun hörte Roman wieder zu, aber Jeder, das war Richard, und das begriff Roman erst, als Richard fort war. Zwölf Kilometer fort, im Hof dieser Frau. Und wem gehört jetzt unser Hof ? Und ist es Richard wirklich ernst? Das spielte keine Rolle, denn Anne befand, es gebe keinen Weg zurück, es vergingen Tage unter der Herrschaft dieses Satzes: Es gibt keinen Weg zurück. Da konnte Roman nur nicken.
    Es mußte geteilt werden. Richard forderte den Grund, Anne bot neun Joch, soll er sich abstrudeln mit der Landwirtschaft, das Haus mit einem Joch wollte sie selbst behalten, aber Richard wollte den ganzen Grund, wieviel ist denn ein Joch? Fünftausendsechshundert Quadratmeter, was willst du mit so viel Grund, wer soll das pflegen, wenn du aussteigst aus der Landwirtschaft, selbst wenn du dir drei Karotten und einen Salat anbauen willst, was machst du mit über fünftausend Quadratmetern?
    Aber wenn er den ganzen Grund bekommt, dann versaut er mir bis vor das Haus alles mit seinen Präservativen, mit denen er bekanntlich düngt, und mit den Binden von der Schlampe, Sei nicht so kindisch, Na weil es wahr ist.
    Also gut, das Haus und zweitausend Quadratmeter und tausend Rosen.
    Eine Katastrophe? Sie berührte Roman nicht wirklich, sie berührte ihn nur als die Hysterie, die im Haus herrschte, ein Grund mehr, sich entweder mit Alkohol zu betäuben oder den ganzen Tag draußen auf dem Hochsitz zu bleiben, oder beides. Sie verfolgte ihn als der an ihn gestellte Anspruch auf Solidarität, sie schmerzte ihn wie eine Krankheit anderer, sehr bedauerlich, ganz entsetzlich, aber nicht er hatte sie. Die Ehe seiner Mutter war ein Fehler gewesen, Richard war für ihn nie etwas anderes geworden als ein Phantom, jetzt war er wieder weg, hatte eine Gleichaltrige, was solls? Roman hatte

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