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Schubumkehr

Schubumkehr

Titel: Schubumkehr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Menasse
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Kopfschmerzen, wenn seine Mutter redete, er fühlte sich kraftlos, taub, hohl, eingeschnürt, was sollte er machen? Der Schnitt in den Finger passierte an diesem Tag, als Anne und Richard sich einig wurden: Die Trennung ist definitiv, der Besitz wird so und so geteilt, die Wracks hinter dem Haus haben innerhalb einer Woche zu verschwinden, und all die anderen Details. Anne kam aus Peugen zurück, wo sie im Kaffeehaus mit Richard alles besprochen hatte, natürlich war die Schlampe dabeigewesen, Anne wollte sofort ihrem Sohn alles berichten – und fand ihn in ihrem Bett, blutend.
    Roman hatte noch geschlafen, als sie aus dem Haus gegangen war. Als er aufstand, fand er den Tisch für ihn zum Frühstück gedeckt, Kaffee in der Thermoskanne, die Zeitung, Brot war allerdings nicht aufgeschnitten, das wäre nur ausgetrocknet. Zunächst trank er eine Tasse Kaffee, rauchte eine Zigarette und versuchte Zeitung zu lesen. Da war eine Fliege. Ihr Gebrumme enervierte ihn, ihre freche Flugbahn, zwischen seinem Gesicht und der Zeitung hindurch, über die Marmeladegläser hinweg, zurück an seinem Ohr vorbei, er machte eine wischende Handbewegung, der Aschkegel seiner Zigarette fiel genau in seine Kaffeetasse. Er schüttete den Kaffee weg, faltete die Zeitung so zusammen, daß er die Fliege damit erschlagen konnte, stand wartend da, beobachtete die Fliege, wartete, bis sie sich irgendwo niederließ. Dann zwei rasche Schritte, ein Schlag, dann wieder warten, laufen, schlagen, starr dastehen, schlagen, hüpfen, schlagen, auf einmal bekam er einen Schwindelanfall, ein Gefühl völliger Blutleere im Kopf, einen Schweißausbruch, was war mit ihm los? Er setzte sich, atmete tief durch, hustete. Irgend etwas stimmte nicht. Er ging duschen. Er wollte kalt duschen. Er duschte nicht so heiß wie sonst. Dann stieg er auf die Badezimmerwaage, zum ersten Mal seit drei Wochen. Er stieg noch einmal und ein drittes Mal auf die Waage, weil er es nicht glauben konnte – aber kein Zweifel, er hatte drei Kilo abgenommen. Abgenommen. Drei Kilo. Er war augenblicklich erregt, freudig, aber das fiel sofort auch zusammen mit einem Schauer vor dem Rätselhaften. Wieso nahm er ab, wenn er es gar nicht mehr darauf anlegte, abzunehmen? Er versuchte zu rekonstruieren, ob er in letzter Zeit, sozusagen irrtümlich oder unbewußt, weniger gegessen und getrunken, sich mehr bewegt hatte. Er zog sich an, schenkte sich eine neue Tasse Kaffee ein. Die Fliege war immer noch da. Er öffnete das Fenster, in der Hoffnung, daß sie den Weg hinaus finden werde. Eine Zigarette. Sie schmeckte nach Stroh. Schwindelgefühle. Schweiß auf der Stirn. Oder waren das nur die vom Duschen nassen Haare? Er mußte etwas essen. Wieso hat er drei Kilo abgenommen? Er hatte sich doch überhaupt nicht mehr eingeschränkt. Irgend etwas zehrte ihn auf, höhlte ihn aus.
    Die Fliege war nicht durch das offene Fenster hinausgeflogen. Statt dessen waren noch andere hereingekommen. Jetzt wimmelte es von Fliegen.
    Brot schneiden. Der Schnitt in den Finger. Und dann tropfte sein Blut in das Ehebett, in das Bett der gescheiterten Ehe, wo ihn seine Mutter fand, als sie heimkam.
12.
    Frau Nemec kannte die Stellen genau, wo die Pilze wuchsen. Welche zu finden, war für sie nicht Glückssache, sie ging zielstrebig durch den Wald, zu manchen Flecken mußte sie dreimal, fünfmal, siebenmal hingehen, ohne einen Pilz zu finden, und dann, am achten Tag, der für einen anderen zufällig der erste sein konnte, standen sie da. Waren die Pilze noch zu jung, so daß sie wie kleine im Boden steckende Eier aussahen, wartete sie noch einen Tag oder zwei. Wenn sie die Pilze schließlich erntete, schnitt sie mit ihrem Taschenmesser den Stiel unmittelbar über dem Boden ab, putzte die Pilze an Ort und Stelle, schnitt die Kappen von den Stielen und drückte sie mit den Lamellen nach unten in die Erde, um Sporen zurückzulassen, so hatte sie es schon als Kind gelernt, ihr ganzes Leben lang getan, und so machte sie es auch diesmal, obwohl sie wußte, daß sie nie wieder hierher zurückkommen würde. Das Sonnenlicht brach in Streifen durch die Bäume wie bei einem sakralen Gemälde, und Frau Nemec besaß die Unschuld, dies zu bemerken, davon ergriffen zu sein und sich doch keine Sekunde damit aufzuhalten. Es war so.
    Zu Hause schnitt sie die Schwämme in Scheiben und legte sie zum Trocknen auf Tücher. Sie hatte nicht nur herkömmliche Speisepilze gesammelt, wie Herrenpilze, Steinpilze, Rotkapperl, Eierschwammerl und

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