Schubumkehr
Hallimasch, sondern auch narrische Schwammerl, rote Fliegenpilze, Kahlköpfe und Täuschlinge. Zuletzt schnitt sie drei Exemplare des grünen Knollenblätterpilzes auf – im Volksmund bekannt unter dem Namen Racheengel.
13.
Die Blutflecken auf dem Laken. Der hingestreckte Körper Romans. Sein starres Gesicht. So diffus schimmernd und unklar maskenhaft wie das Foto, das sie von ihm in ihrer Brieftasche hatte, unter das mehr oder weniger durchsichtige Plastikfenster geschoben, das Bild, das sie immer flüchtig sah, wenn sie zahlen mußte.
Anne saß rauchend im Bett und betrachtete ihren Sohn. Sein Zustand, das war ihr klar, kam gewiß nicht von dem kleinen Unfall, von der banalen Schnittwunde. Er hatte jetzt zum zweiten Mal den Vater verloren, schon auf der Heimfahrt vom Kaffeehaus war ihr dieser Gedanke gekommen, und sie hatte sich festgeklammert an diesem Gedanken, der es ihr ermöglichte, ihren Schmerz, den Mann verloren zu haben, zu übertragen auf einen Teil von ihr, außer ihr, auf den sie sich stützen konnte, ihn stützend, ihm Halt gebend, tröstend, bemutternd. Ihr armer Romy, wie gut sie ihn verstand. Sie weinte. Wir werden, sagte sie, da warf sich Roman schluchzend herum und preßte sich an sie. Romy, es wird alles, sagte sie, krank, sagte er, er sei krank, nein, das mit dem Finger sei eine Lappalie, nichts von Bedeutung, wirklich krank, er fühlte sich elend, nein nein nicht seelisch, er sei physisch krank, etwas stecke in ihm. Was ihm wehtue, alles, nein, nichts, er wisse auch nicht, er sei einfach krank.
Drei Tage pflegte sie ihn, machte ununterbrochen Kräutertees, von denen er nippte, Suppen, von denen er kaum aß, er lag einfach da, starrte vor sich hin, im Ehebett, sie legte sich zu ihm, wenn sie schlafen ging, sie legte die Hand auf seine Stirn, wenn sie aufwachte.
14.
Ob er ein Angehöriger sei, was hätte er darauf antworten sollen, hatte er nicht um jeden Preis das Kind sofort sehen wollen, sehen müssen?
Verena hatte gerade geschlafen, Ja natürlich, ein Angehöriger, und er war in einen Raum geführt worden, wo die Neugeborenen in Gitterbettchen lagen, wenn sie nicht gerade bei ihren Müttern waren, eines wie das andere, eines davon war der kleine Florian Schandl.
König machte sofort ein Foto, das er aus seiner Polaroidkamera herausriß und der Schwester zum Halten weitergab, noch eines, das Kind zuckte unter den Blitzen zusammen, ein drittes Foto, die Schwester gab ihm die zwei, die sie hielt, zurück, jetzt ist aber genug.
Hoffentlich kommt da keine Rederei raus, ein Angehöriger von Ihnen war vorhin da, was für ein Angehöriger? Es folgt eine Beschreibung – Aber das ist doch kein Angehöriger, wird sie sagen, womöglich belustigt, das war der Bürgermeister! Aber das wäre nicht lustig, das konnte bedrohlich werden, die Gewerkschaft bedrohte ihn schon, seine Gewerkschaft, die warten nur darauf, etwas gegen ihn in der Hand zu haben, warum hatte er gesagt, daß er ein Angehöriger sei?
Ein Viertel der früheren Arbeitsplätze der Glasfabrik hätte erhalten bleiben sollen, so war es ausverhandelt, besser als gar nichts, besser als eine geschlossene Fabrik. Das hatte König noch als politischen Erfolg verkaufen können, die Garantie: Diese Arbeitsplätze bleiben erhalten. Die neue Fabriksleitung hatte diese Auflage erfüllt: rein numerisch. Irgendwie hatte sie es aber geschafft, Gastarbeiter von drüben herzubekommen, die arbeiteten für einen Pappenstiel, und die eigenen Leute schauen durch die Finger, die eigenen Leute, was sollte er jetzt machen, ein Angehöriger, das ist ein Fehler gewesen.
Er wischte sich mit der flachen Hand den Schweiß von der Stirn zurück ins Haar, betrachtete die vor ihm auf der Schreibtischplatte liegenden Fotos. Die drei Fotos von Florian, und zum Vergleich drei Fotos von Bruno, die seinerzeit auch kurz nach der Geburt aufgenommen worden waren.
Schwer zu sagen. Man konnte gar nichts sagen. Im Grunde sahen alle diese Baby-Gesichter aus wie am Ende sein Großvater, so wie er ihn in Erinnerung hatte: rund, gerötet, irgendwie zerknautscht, ein paar Haare auf dem Kopf. Rasch verscheuchte König diesen Gedanken. Natürlich könnte er Verena einfach fragen, ganz offen, heimlich fragen, aber wenn sie selbst gar nicht wußte, wer – und überhaupt: Wie konnte er sicher sein, daß sie die Wahrheit sagen würde? Und wenn er stillhielt, sich in der Frage totstellte? Er hatte genug andere Sorgen, und warum sollte Verena etwas aufkommen lassen, das wäre doch
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