Schuechtern
und über einen Facebook-Account verfügt, wird diesen fast automatisch zur Bekanntgabe von Veranstaltungen, Veröffentlichungen und anderen beruflichen Neuigkeiten verwenden. Viele Autoren statten die Hauptfiguren ihrer Romane inzwischen mit eigenen Facebook-Konten aus und posten unter dem Namen dieses Avatars. Und bei manchen Freundschaftsanfragen von mehr oder weniger wildfremden Menschen drängt sich der Eindruck auf, dass diese weniger an ‹Freunden› als vielmehr an einer möglichst großen Zahl von Kunden für ihre Werbung in eigener Sache interessiert sind.
Tatsächlich wird diese Art von Online-Marketing von manchen Verlagen inzwischen aktiv unterstützt oder sogar eingefordert. Erfreulicherweise wurde eines meiner Bücher unlängst von einem sympathischen, auf ‹grüne› Themen spezialisierten Verlag aus Kanada ins Englische übersetzt. Weniger erfreulich war, dass eine Frau aus der Marketing-Abteilung des sympathischen, auf grüne Themen spezialisierten Verlags mir daraufhin ein Vierteljahr lang jede Woche eine E-Mail schrieb, in der sie mir Tipps gab, wie ich meine ‹Online-Identität› und damit letzten Endes mein Buch besser vermarkten könne. Unter anderem wurde mir in Aussicht gestellt, dass ich durch unausgesetztes Bloggen, Twittern sowie tägliche Pflege meines Facebook-Accounts eine Schar von, ich zitiere wörtlich, «evangelists» um mich versammeln könne, die dann die Gute Nachricht vom Erscheinen meines Buchs an andere Gläubige weitergeben würden.
Ich muss sagen: So sehr ich mich über jeden Leser, jede Leserin freue − ich hatte keine Bibel geschrieben, und ich fühlte mich nicht hinreichend zum Religionsstifter berufen, um eine Handvoll virtueller Wanderprediger um mich zu scharen. Außerdem hatte ich gerade alle Hände und Hirnwindungen voll damit zu tun, an den hier vorliegenden schüchternen Entblößungen zu schreiben. Ich benötigte meine gesamte Konzentration, um die peinlichsten Szenen meiner Jugendzeit aus den Tiefen der Erinnerung ans Licht zu zerren. Mit anderen Worten: Ich arbeitete an einer zwar anders gerahmten, im Prinzip aber ganz ähnlichen Form der Selbstdarstellung…
«Eben!» höre ich Agentin Babajaga aus ihrer Schmollecke in meinem Oberstübchen meckern. «Dafür, dass du angeblich so schüchtern bist, trägst du hier ganz schön schamlos deine Haut zu Markte. Weißt du, was ich glaube?»
Ich höre auf zu tippen, fasse mich an die Nase und schüttle sachte den Kopf, obwohl ich natürlich genau weiß, was jetzt kommt.
«Ich glaube, du bist gar nicht schüchtern! Ich glaube, du wirfst dich hier nur kokett in Bescheidenheitspose, weil du glaubst, dass sich die Bekenntnisse eines Schüchternen besser verkaufen als, sagen wir, die Bekenntnisse eines arroganten Arschlochs.»
Babajaga ist aufgesprungen und fuchtelt erregt mit einer silbernen Zigarettenspitze vor meiner Nase herum.
«Aber erstens ist das ein Trugschluss, mein Lieber, die Bekenntnisse eines arroganten Arschlochs, von Felix Krull bis Dieter Bohlen, waren schon immer interessanter und verkaufsträchtiger als so ein selbstmitleidiger Quatsch. Und zweitens ist dieses ganze Buch hier doch ein einziger performativer Widerspruch! Du bist doch selbst nur ein kleiner Spekulant in der Ökonomie der Aufmerksamkeit, ein Profiteur des mentalen Kapitalismus, ein…»
«Jaja!», unterbreche ich mein besserwisserisches Über-Ich: «Du hast vorhin bei meiner großen kulturpessimistischen Jeremiade ganz toll mitgeschrieben und versuchst jetzt, mich mit meinen eigenen Argumenten zu schlagen.»
Aber andererseits hast du natürlich recht, denke ich: Ich frage mich manchmal ja auch, wie sich die Behauptung, dass ich schüchtern bin, eigentlich mit dem Verfassen dieses Buchs vereinbaren lässt. Kann man zugleich zurückhaltend sein und darüber schreiben? Wie kann man seine Kommunikationsprobleme kommunizieren? Bin ich, ganz grundsätzlich gefragt, tatsächlich schüchtern?
Peinliche Befragung Ich sitze auf einem Klappstuhl aus Metall. Vor mir steht ein Tisch, die Platte ist aus schmutzigweißem Kunststoff, darauf steht ein Pappbecher, dem Geruch nach zu urteilen enthält er schlechten Kaffee. Auf der anderen Seite des Tischs, etwa einen Meter von mir entfernt, sitzt Agentin Babajaga. Sie ist noch stärker geschminkt als sonst, ihre Augenbrauen sind gezupft und durch einen Kajalstrich ersetzt worden, ihre ochsenblutroten Haare sind frisch gefärbt und korrespondieren aufs Erschreckendste mit ihrem
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