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Schuechtern

Schuechtern

Titel: Schuechtern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Werner
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«Ungewöhnlich ist nicht, dass sich Menschen den Medien anbiedern», schreiben die Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen und Wolfgang Krischke: «Neu ist, dass die mediengerechte Selbstdarstellung und das Werben um öffentliche Aufmerksamkeit allgegenwärtig geworden sind.» Casting-Shows wie Deutschland sucht den Superstar , Das Supertalent oder Germany’s Next Topmodel befördern und vermarkten den Glauben, dass jeder, der die entsprechenden Spielregeln erlernt − seien es nun die des Musikgeschäfts oder die des Modelgewerbes −, zum Star aufpoliert werden könne. Doku-Dramen und Reality-TV-Sendungen machen vor, dass auch das ‹ganz normale›, nicht durch Imageberater, Gesangslehrer und Visagisten aufgepimpte Leben medienwürdig sei. Und die virtuellen Off-Theater des Web 2.0 kümmern sich um den Rest: «Das Internet hat eine echte Kulturrevolution bewirkt», sagt der Philosoph und Medienwissenschaftler Norbert Bolz, «weil jetzt dieser Andy-Warhol-Gedanke, jeder Mensch könne für fünfzehn Minuten Berühmtheit erlangen, Realität geworden ist.»
    Diese Einschätzung mag den Begriff der Berühmtheit unnötig strapazieren − schließlich stellen fünf nach oben gereckte Daumen bei Facebook noch keine begeisterte Öffentlichkeit dar. Sie ist aber insofern richtig, als sie zeigt, dass der Trend zur Selbstdarstellung untrennbar mit der medialen Entwicklung einhergeht: Erst mit dem Aufkommen des Privatfernsehens wurden die zahllosen TV-Selbstentblößungsformate denkbar und populär; und erst mit dem Siegeszug des Internets sowie schließlich der sozialen Netzwerke konnte der Medienkonsument zum aktiven ‹Prosumenten› werden. Kein Wunder, dass das von Bolz erwähnte Warhol-Zitat längst in sein Gegenteil verkehrt wurde, und dass für Menschen wie den medienscheuen britischen Künstler Banksy inzwischen die absolute Anonymität das Idealbild darstellt: In the future, everyone will be anonymous for 15 minutes.
    Der gegenwärtige Kult der Selbstinszenierung verdankt sich aber nicht allein der Tatsache, dass neue Medien stets auch ihnen gemäße Kommunikationsformen hervorbringen, dass die schiere Verfügbarkeit neuer Kanäle also dafür sorgt, dass auf ihnen auch gesendet wird − er hat nicht zuletzt auch ökonomische Gründe. Die «Mentalität des Instant-Erfolgs», wie sie in der Casting-Gesellschaft vorgelebt und gefordert wird, spiegelt Pörksen und Krischke zufolge auch «die Dynamik einer flexibilisierten Arbeitsgesellschaft mit befristeten und prekären Arbeitsverhältnissen, mit wechselnden und schnell entwerteten Kompetenzprofilen» wider. Bei der traditionellen beruflichen Laufbahn musste man sich zwar auch während seiner Studien-, Ausbildungs-, Lehr- oder Wanderjahre bestimmten Prüfungen und Passagenriten unterziehen, was, wie wir etwa aus Liederzyklen wie Franz Schuberts Die schöne Müllerin oder Gustav Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen wissen, eine durchaus peinigende Erfahrung sein konnte. Wenn man dann seinen Beruf ergriffen hatte, ließ man ihn aber in der Regel bis zum Ende der Erwerbstätigkeit nicht mehr los. Bei den heutigen Patchwork-Karrieren hingegen ist es nicht unüblich, dass man sich immer wieder und am besten bis ins Rentenalter neu bewirbt und beweisen muss. «Was die Menschen in den Casting-Shows lernen, besser gesagt, was sie testen», so Norbert Bolz, «ist, wie gut sie sich selbst in sehr, sehr kurzer Zeit auf einem Markt verkaufen können. […] Das dürfte eine Fähigkeit sein, die heutzutage, da auf eine Stelle Hunderte von Bewerbern kommen, immer wichtiger wird.»
    Der Philosoph Georg Franck vertritt daher die These, dass die traditionelle kapitalistische Ökonomie des Geldes allmählich durch den Verteilungskampf um eine neue Währung und Ressource, nämlich eine «Ökonomie der Aufmerksamkeit», abgelöst werde. Dieser Wettstreit betrifft nicht nur die Welt des schönen Mattscheibenscheins, sondern genauso andere Bereiche des öffentlichen Lebens und nicht zuletzt den Wissenschafts- und Kulturbetrieb: «Es ist ein genereller Zug unserer zeitgenössischen Kultur, dass der Kampf um die Aufmerksamkeit die Kulturszene beherrscht und dass dieser Kampf immer härter wird», so Franck. «Das ist fast so etwas wie eine Rüstungsspirale.»
    Im Zug dieses selbstdarstellerischen Aufrüstens werden selbst soziale Medien, die ursprünglich der virtuellen Kontaktpflege mit Freunden dienen sollten, immer mehr zu Basaren der Selbstvermarktung. Wer in der Kulturszene arbeitet

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