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Schuechtern

Schuechtern

Titel: Schuechtern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Werner
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mit dem Soziologen Richard Sennett zu sagen, zu Händlern auf dem großen «Markt der Selbstoffenbarungen», wo das eigene Ich das höchste Gut und die Aufmerksamkeit der anderen die wichtigste Währung darstellt. Dieser Trend zur Selbstvermarktung verdankt sich Sennett zufolge einer zunehmenden Tendenz zur Psychologisierung des öffentlichen Lebens, die dazu führt, dass wir «die Gesellschaft nur in dem Maße für ‹bedeutungsvoll› [halten], wie wir sie in ein riesiges psychisches System verwandeln». Das heißt: Wir sind an Personen des öffentlichen Lebens, etwa an Politikern, vor allem ‹als Menschen› interessiert, weniger als Vertreter einer bestimmten politischen Haltung oder aufgrund ihrer Qualifikation. Wir wissen zwar, dass die eigentliche Aufgabe eines Politikers darin bestehen mag, Gesetze zu erarbeiten und bestmöglich umzusetzen − aber eigentlich schenken wir ihm erst dann gebührende Aufmerksamkeit, wenn er als «Persönlichkeit» in Erscheinung tritt. Dieses «übermäßige Interesse an Personen auf Kosten der gesellschaftlichen Beziehungen wirkt wie ein Filter, der unser rationales Gesellschaftsverständnis verfärbt», schreibt Sennett. «Er macht uns glauben, Gemeinschaft sei das Produkt gegenseitiger Selbstentblößung.»
    An wohl keiner Figur des politischen Lebens zeigt sich dieses Phänomen so deutlich wie am ehemaligen deutschen Wirtschafts- und Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, der als Prototyp des Unschüchternen, ja geradezu als Ikone der Selbstgewissheit gelten darf. Bedenkt man, dass zu Guttenberg aus einem alten fränkischen Adelsgeschlecht stammt, und folgt man der oben formulierten These, dass die moderne Schüchternheit sich nicht zuletzt aus der Blödigkeit des Bürgers bei Hof entwickelt hat, kann dies kaum überraschen: Als gebürtiger Freiherr verfügt zu Guttenberg nicht nur über beträchtliches ökonomisches, sondern auch über enormes kulturelles Kapital, ist also mit der gesellschaftlichen Etikette und den sozialen Kodizes innig vertraut − allein was die Regeln wissenschaftlichen Arbeitens angeht, hat er offenbar gewisse Defizite.
    Erstaunlicherweise wurde der CSU-Politiker bereits nach wenigen Monaten im Ministerrang als künftiger Kanzlerkandidat gehandelt und als eine Mischung aus politischem Messias und John F. Kennedy bejubelt; selbst nach seiner Entblößung als Plagiator stand er in den Hitlisten der beliebtesten deutschen Politiker noch immer ganz oben. Seiner tatsächlichen politischen Leistung dürfte dies kaum geschuldet sein, sondern eher seiner Fähigkeit, sich als charismatische Politiker-Persönlichkeit zu vermarkten. Es gelang zu Guttenberg, sich als Luxusmarke mit bestimmten Alleinstellungsmerkmalen − klare Kante, Stilbewusstsein, Frisur − zu etablieren und einprägsame Bilder von seiner besten Ware, also sich selbst, in Umlauf zu bringen: Mit Nadelstreifenanzug am Times Square. Im schwarzen AC/DC-T-Shirt im oberbayrischen Bierzelt. Im blauen Einreiher, mit farblich abgestimmter Splitterschutzweste, in Afghanistan. Als die Lage am Hindukusch ernstere modische Statements erforderte, ebendort mit cremefarbener Cargohose und Ray-Ban-Fliegerbrille. Zu Weihnachten mit blonder Ehefrau. Und schließlich, bei seinem Rücktritt, im dunklen Anzug und mit angemessen ernster Miene, als waidwundes Opfer der Presseberichterstattung.
    Es ist bemerkenswert, wie perfekt zu Guttenberg seine Kleidung dem Anlass entsprechend auszuwählen verstand und wie sehr seine Beliebtheit als Politiker mit seinem Ruf als bestangezogener deutscher Politiker oder gar als «bestangezogener Deutscher» (so das Männermagazin GQ ) einherging: Der Ex-Minister betrieb den Beruf des Politikers bisweilen als regelrechte Modeschau, als so opulent wie fachmännisch ausgestattete Verkleidungsoper. «Kaum jemand hat in den letzten Jahren Stil und Etikette so sehr zu seinem Thema gemacht wie Karl-Theodor zu Guttenberg», schreibt der Rechtswissenschaftler Oliver Lepsius. «Selten tauschte zu Guttenberg politische Argumente aus. Viel lieber redete er über das, was sich gehört, und auch das, was sich nicht gehört. Seine Politikinszenierung wird zur Selbstinszenierung.»
    Allerdings ist die Tendenz, Inhalt durch Form zu ersetzen und durch möglichst blendende Außenwirkung über die Abwesenheit von Substanz hinwegzutäuschen, nicht auf zu Guttenberg und den Politikbetrieb beschränkt, sondern ein generelles Kennzeichen unserer zeitgenössischen Casting-Gesellschaft.

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