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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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Lächeln vorzuweisen hatte. Groß, dreist, hungrig, solche Geschenke machen nur Götter, dachte ich. Die Musik war ein Kuckucksei. Und es lag in meinem Nest.
    Dass ich zwei Jahre später den Bassmann traf, war vielleicht meine Rettung. Ich weiß nicht, wo ich sonst gelandet wäre. Er beeindruckte mich. Den ersten Blick auf seine schönen Finger warf ich über eine lange Reihe Sektgläser hinweg. Er wiegte sein Instrument, begleitete einen Oboisten. Ich bekam Lust, ihm eine Nadel in den Rücken zu stechen. Nur um zu sehen, ob er überhaupt reagieren würde. Er schien vollkommen jenseits dieser Welt zu sein. Was er tat, erfüllte den Raum, ich konnte die Impulse seines Instruments wie lebendige Tapetenmuster die Wände hochkriechen sehen.
    Später sprach ich ihn an. Seine Stimme war genauso bassig wie alles an ihm. Klar, lass es uns versuchen, sagte er. Acht Wochen später standen die ersten Songs. Der Bassmann besorgte mir meine ersten Auftritte. Auf mein Drängen hin kaufte er sich einen elektrischen Kontrabass und ein Theremin. Ich war begeistert, als ich hörte, was er damit anzustellen wusste.
    Musik war für mich niemals nur eine Gitarre und eine Bühne. Musik war mehr als Probenräume, Kabelsalat und Tonstudios. Musik war, was geschah, wenn ich wirklich hinhörte. Meine Lunge, meine Finger, meine Zunge folgten blind dem Flirren unter der Haut, einer spürbaren Fährte, die die Klänge hinterließen, dem schmalstmöglichen Grat der Präzision. Meine Musik war immer ein Hören, kein Machen.
    Sobald ich es mir halbwegs leisten konnte, kaufte ich eine weitere Gitarre und zog in die Stadt. Wieder war es der Bassmann, der Borg und die Goldlaube kannte, der mich fraglos auf einen Platz in der Szene schob, als sei er immer für mich reserviert gewesen. Borg machte die ersten Aufnahmen mit mir. Ich war selig. War ich doch genau in die Welt gerutscht, die ich mir erträumte, als ich in meinem Zimmer eingeschlossen gespielt hatte, halb im Glauben, sie existiere nicht. Inzwischen glaube ich, dass jeder irgendwann die Welt bekommt, die er sich im Kopf erschaffen hat.
    Auch ohne meine Gitarren fand ich immer wieder Dinge, die mich glücklich machten. Den perfekten Automatenkaffee, eine französische Stimmung im Regen, gutes Sushi, den einen oder anderen Mann. Wenn es der Richtige war, genoss ich in vollen Zügen, und die Götter wussten das. Halb eifersüchtig und halb berauscht beobachteten sie. Das göttliche Spannervolk, dachte ich dann und küsste mich unter ihren Blicken high.
    Die Bremsen kreischen. Ruckartig bleibt der Zug stehen. Ein Mann fällt auf eine Frau, ein Hund schaut wie ein Auto. Die Gedanken verhaken sich in meinem Kopf. Die Götter sind ein heikles Thema. Der Kerl mit den Filmrollen schreckt auf, nimmt die aktuelle Spule hastig vom Projektor. Dann geht er Kaffee kochen. Ich starre die schwarze Wand vorm Zugfenster an. Etwas elektrisiert meine Fingerspitzen. Etwas kitzelt im Bauch. Weil die Spannung kaum nachlassen will, stehe ich auf, wanke durch die Stadtbahn, durch den ganzen Waggon, auf einen anderen Platz. Die Bahn rollt langsam wieder an.

Blaue Zunge
    Nach den Konzerten folgen buntflaumige Tage, an denen ich wie in einer Oilily-Werbung lebe. Das ist da, wo alle Fotos gelingen. Wo ich Kritiker und Journalisten zum Frühstück fresse. Wo Eiskugeln nichts kosten und Blauer Engel und Birne Helene heißen. Wo Betten die Ausläufer des Paradieses sind. Wo Äpfel, Wasser und Kopfschmerztabletten immer irgendwie nach Erdbeere schmecken. Wo Worte blindwütig ihren Weg finden und keins danebengeht.
    Wir sitzen auf einer Brüstung über dem Fluss und trinken Kaffee. Ein beflissener Wind hält dein Haar in Bewegung. In deinen Pappbecher hinein sagst du schöne Worte. Dein Sommermantel flappt auf meine Knie. Wir schlendern weiter, durch Kaufhäuser und Parfümerien. Wir umkreisen die Regale mit den Männerparfums. Wir suchen dich, deine Flasche, deinen Duft. Am Ende riecht alles wie Weihrauch, Alkohol und Spülmittel im Mixer. Wir lüften uns im Park wieder aus. Steigen in Schiffschaukeln und essen Blaue Engel am See.
    Deine Schultern sind scharf umrissen, während du vor mir durch die Sonne gehst. Du bist ein Mantel voller Handlichkeiten, auf Berührung wartend, ein Koffer geheimer Werkzeuge, denke ich. Seit ich deine Brusttasche abgerissen habe, treffe ich dich tatsächlich manchmal auf der Straße. Jetzt bemerke ich dich. Du kommst aus altmodischen Ladentüren, es klingelt. Du steigst aus Linie vier, in

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