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Schüchternheit der Pflaume

Schüchternheit der Pflaume

Titel: Schüchternheit der Pflaume Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F Kanzler
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und detailgewaltig. Bravo, denke ich, dieser Unfug hätte allenfalls eine Randnotiz im Bewusstseinsstrom verdient. Warum lässt er mich nicht los. Was da läuft, ist nicht mein Film, warum sollte ich meine Hauptrolle gegen eine miserable Nebenrolle in diesem Fickfilm eintauschen. Ich will meine eigene Story. Bin die junge Musikerin, das Mondsuchttalent, die Sammlerin einsamer Wölfe, bin gut in meiner Rolle. Für den Moment mag ich allein sein, mit meinen Gitarren und meinen Göttern, aber ich werde es nicht lange sein. Da draußen warten Leute, Begierige, Nachtmenschen, Musikjunkies wie ich. Deren Applaus wird mich tragen, wie immer, sage ich mir. In deren Neugier werde ich baden. An deren Blicken werde ich hängen wie eine Marionette.
    Aber die Bilder wollen nicht aufhören. Als hätte ich noch nicht genug geschaut, tritt mitten in meine Gedanken hinein eine Frauengestalt, diesmal nicht Lora, sondern kleiner, breiter. Sie legt eine rosige Patschhand auf meinen Schreibtisch, betont langsam, selbstbewusst. Hallo Damla. Sie befiehlt, dass ich mich hinlegen soll. Wie um den Befehl zu unterstreichen, treten drei Männer aus der Wand. Falls du nicht parierst, sagt Damla. Auf den Bauch. Die Unterhose runter. Den Rock hochschieben. Ich gehorche. Hinter den Männern taucht eine weitere Gestalt auf, die Schweizer Doktorandin, will zuschauen.
    Damla tritt ans Bett. Mit der Linken stützt sie sich auf mein Becken, drückt mich gegen die Matratze, während ihre Rechte nach unten greift. Sie bringt eine Weinflasche zum Vorschein, die neben dem Bett stand, Castillo de Vagos, ein roter Spanier. Schlampe, sagt Damla. Deine Möse fass ich nicht an. Gefickt wirst du trotzdem.
    Irgendwann ist es vorbei. Mit klopfendem Herzen zerre ich die Bettdecke über meinen bloßen Hintern. Die Weinflasche rollt an den Bettrand. Etwas Dunkles schwappt über mir zusammen, Schlaf, Tempranillo, eine Ohnmacht.
    Als ich die Augen wieder aufschlage, ist die Sonne etwa fünfzehn Grad weitergewandert. Ich rieche das Myrtenbäumchen. Mein Kopf ist leer. Dort sind Teelöffel im Bett. Ein mit Memos bekritzelter Pappbecher kullert auf den Boden. Da ist die Gitarre, ich ziehe sie in meinen Schoß, ihre weißen Wirbel, und das klackende Geräusch meiner Fingernägel auf dem Korpus.
    Ich beginne zu singen. Zu improvisieren. In meinem Kopf resoniert ein desolates Stückchen Welt. In meinem Kopf hausen hartherzige Männer und langbeinige Frauen. Von denen singe ich. In meinem Song wird geliebt, gehurt und geheult. Whiskyflaschen, Windschutzscheiben und Wolkenkratzer gehen zu Bruch.
    Früher, als meine Klassenkameraden mich ignorierten und die Lehrer mich geradebiegen wollten, floh ich in die Musik. Es war ein bisschen wie jetzt. Das Alleinsein. Der Schmerz, erinnere ich mich, dauerte nie sonderlich lange. Nach kurzer Zeit passierte etwas in mir. Als entzündeten die Götter eine Fackel für mich, eine Waffe, ein sternhelles Feuer. Etwas brannte weg, etwas schmolz, etwas verfärbte sich. Wie eine chemische Reaktion. Danach war es immer sehr still. So wie jetzt.
    Man muss schon eine bemerkenswerte Maschine sein, um den ganzen Mist umwandeln zu können. In etwas, das nicht schadet. In etwas, das weiterträgt. In Musik zum Beispiel. Wie früh ich gelernt habe, den ganzen Müll als Motor zu nutzen, Einsamkeit, Enttäuschung und all die Angst. Ab in die Zylinder damit und volle Fahrt voraus. Ich war die Königin dieser Disziplin. Vielleicht bin ich es immer noch.
    Als ich weiterspiele, packt mich meine Musik, packt mich an all den kleinen Härchen auf meinem Körper. Ich werde Rhythmus, atme Akkorde. Die Arpeggien gehen wie warme Sommerschauer auf mich herab. Ich lache ein lautloses Lachen. Es passiert nicht oft, dass ich mir selbst eine Gänsehaut spielen kann.

Weiße Wimperntusche
    Ich esse Sushi. Ich trage weiße Wimperntusche. In einem Birnholzkasten führe ich meine eigenen Hashi mit. Die Stäbchen sind aus demselben Holz geschnitzt. Um ihr oberes Ende schlingt sich eine filigrane Bemalung, Schriftzeichen. Mir gegenüber sitzt ein schlitzäugiger Mann, er trinkt Lotustee, ich Litschilimonade. Wahrscheinlich sind wir im Mokusei. Nur eine Handvoll Gäste sitzt in dem weitläufigen Raum verteilt. Regen nieselt an die Frontscheibe des Ladens. Überall stehen weiße Kerzen und verleihen dem Raum etwas Unwirkliches. Gegen meinen Stuhl gelehnt steht ein Schirm bei Fuß.
    Der Japaner an meinem Tisch unterhält sich mit mir. Dabei öffnet er weder seine Lippen, noch

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