Schütze meine Seele: Soul Screamers 4 (German Edition)
einfach in die Wüste schicken? Oder du?“
„Hmm …“ Würde ich? Sollte ich?
„Wie kommt es, dass du so weise bist? Ehrlich, ein paar spitze Ohren, grüne Haut und ein Spazierstock, und du gehst als Riesenausgabe von Yoda durch.“ Ich zögerte und sah ihn unsicher an. „ Krieg der Sterne gab es in den Achtzigern schon, oder?“
Er lachte laut auf, und in seinen dunklen Augen machte sich ein fröhliches Leuchten breit, ein seltener Anblick. „Na hör mal. Das wurde zu meiner Zeit erfunden. Mann, du weißt wirklich, wie man jemandem das Gefühl gibt, steinalt zu sein.“ Dann runzelte er nachdenklich die Stirn. „Obwohl, irgendwie bin ich es ja. Ziemlich seltsam, das alles.“ Er ließ seinen ratlosen Blick wieder zu mir wandern. „Körperlich bin ich noch immer neunzehn, aber eigentlich könnte ich dein Vater sein.“
Sofort schüttelte ich den Kopf und setzte ein gespielt mitleidiges Gesicht auf. „Vergiss es, du Grünschnabel, mein Dad ist hundertdreißig Jahre alt.“ Allerdings sah er dabei keinen Tag älter als vierzig aus. „Oder wie kommst du darauf? Fühlst du dich etwa innerlich wie fünfundvierzig?“
Alec reagierte kopfschüttelnd, und ein bedrückter Ausdruck verdunkelte seine Züge. „Nein. Für mich ist es, als wäre ich viel, viel älter. Jedenfalls die meiste Zeit über. In der Unterwelt empfindet man einen Tag als so lange wie ein Jahr. Und ich war ungefähr sechsundzwanzig Jahre dort. Wenn man sich das überlegt … unglaublich. Dann auf einmal, peng, bin ich hier, und alles um mich herum ist so glatt und glänzend und wahnsinnig schnell. Völlig anders eben. Für manche bin ich dadurch ein alter und weiser Riesengnom …“ Er zwinkerte mir zu, doch der Anflug von Heiterkeit in seinem Blick erlosch sofort wieder, kaum, dass er aufgetaucht war. „… aber ich selbst komme mir vor, als wäre ich tausend Jahre alt. Ich meine, nach den ganzen Dingen, die ich gesehen habe und die ich tun musste, um zu überleben, erscheinen mir all diese technischenSpielereien wie Blu-Rays, MP3-Player oder sprechende Telefone, die dir sogar sagen, wie das Wetter morgen wird, irgendwie so … belanglos.“
Alec zuckte hilflos die Achseln. „Aber dann wieder geht’s mir wie einem kleinen Kind, das diese hübschen, funkelnden Stücke Belanglosigkeit total faszinierend findet. Obwohl ich bei der Hälfte davon nicht mal den leisesten Schimmer habe, wozu das Ding gut sein könnte.“
„Wow.“ Ich zog erstaunt die Augenbrauen hoch und lächelte breit, um die Stimmung etwas aufzulockern. „Das war tiefsinnig.“
Er erwiderte mein Grinsen und zog ebenfalls eine Braue hoch. „Müsstest du nicht längst im Bett sein?“
„Was soll das denn heißen? Hör auf den alten Herrn, Kindchen?“
Sein Lächeln erstarb. Nachdenklich betrachtete er einen Moment lang seine im Schoß gefalteten Hände, bevor er mich wieder ansah. „Es heißt, ich wünschte, ich wäre kein alter Herr.“ Er seufzte frustriert. „Ich wünschte, mir wären nicht sechsundzwanzig Jahre meines Lebens weggenommen worden, und am allermeisten wünschte ich, es wäre nicht so verdammt schwer, das Beste aus dem zu machen, was noch übrig ist.“
Sämtliche Leute, die er vor seinem unfreiwilligen Trip in die Unterwelt gekannt hatte, waren während seiner Abwesenheit im Gegensatz zu ihm ganz normal gealtert, was bedeutete, dass ihn und die anderen jetzt ein Vierteljahrhundert trennte. Ergo konnte er schlecht bei einem seiner ehemaligen Freunde mit einem Koffer auf der Matte stehen – mal angenommen, er wüsste überhaupt, wo die heute wohnten – und fragen, ob er für ein Weilchen auf dessen Sofa nächtigen kann. Mein Dad und ich waren momentan alles, was Alec hatte, und schon allein deshalb würden wir ihn ganz bestimmt nicht hängen lassen.
Dennoch, irgendwo tief drinnen wusste jeder von uns dreien natürlich, dass wir seine richtige Familie niemals ersetzen konnten. Genauso wie mein Onkel und meine Tante für mich nicht hatten meine Eltern ersetzen können.
„Ach, Mist. Warum kann ich nicht einfach die Uhr zurückdrehen und alles ungeschehen machen, was schiefgelaufen ist …“
Dieser Wunsch kam mir nur allzu bekannt vor.
Am Dienstagmorgen, dem zweiten Schultag nach den Ferien, lehnte ich mich an den Spind, vor dem sich in meinem Traum das Schreckensszenario abgespielt hatte, und wartete auf Nash, der nach ein paar Minuten den Flur hinunterkam. Allein. Zum ersten Mal, seit ich ihn kannte. Seine beiden besten Freunde waren nicht
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