Schützenkönig
nach Bernhard Lütkehaus’ Abgang gewesen sein, unterhielt sich mein Kollege mit ein paar Leuten über das plötzliche Verschwinden des Kegelkameraden. Bernhards Frau Martha hatte ja jedem, der sie gefragt hat, erzählt, dass Bernd es nicht mehr in unserem Dorf ausgehalten hätte – und er nach Australien gegangen wäre. Er hätte sie unbedingt mitnehmen wollen, aber sie wollte in Westbevern bleiben.«
»Ich sehe immer noch nichts Verdächtiges«, sagte sie.
»Na ja, natürlich haben die Leute geredet. Und auch Zweifel an Marthas Australiengeschichte gehabt. Zwar war es wohl typisch für Bernd Lütkehaus, schnelle Entschlüsse zu fassen und sie genauso schnell durchzuführen. Aber dass er sich so gar nicht gemeldet hatte, erschien einigen doch sehr radikal. Auch meinem Kollegen.«
»Er glaubte Martha nicht?«
»Nein. Und nach der Geschichte mit der Postkarte schon gar nicht mehr.«
»Was war mit der Postkarte?« Viktoria hatte Mario, Elisabeth Upphoff und die Marschmusik längst vergessen.
»Martha hatte wohl einigen Nachbarn und Freunden drei Wochen nach dem Verschwinden ihres Mannes beiläufig eine Postkarte gezeigt, die er ihr geschickt hatte. Eine Kängurufamilie war drauf zu sehen.«
»Zufall?«, fragte Viktoria und wusste, dass es keiner war.
»Nein.« Gregor schüttelte den Kopf. »Hintendrauf stand: ›Gräme Dich nicht! Auch Du kannst und wirst bald hier sein.‹«
»Und alle glaubten, das seien die tröstenden Worte Bernhards an seine Frau gewesen, die er gerne bei sich gehabt hätte.«
»Genau. Dabei waren es exakt die Worte, die mein ehemaliger Kollege ihm geschrieben hatte.«
»Aber der Poststempel. Damit könnte man doch beweisen, dass die Karte schon älter …«
»Was heißt hier beweisen? Wir wissen einfach, dass die alte Lütkehaus lügt. Nur warum, das wissen wir nicht. Und letztlich ist das ja wohl auch …«
»Ihre Privatsache«, sagte Viktoria und lächelte. »Danke, dass du es mir trotzdem erzählt hast. Obwohl du gerade Ohrenzeuge meiner skrupellosen Journalistentricks geworden bist.«
»Vielleicht habe ich es dir ja genau deshalb erzählt«, sagte er und nickte ihr zum Abschied zu.
8. Kapitel
Elisabeth Upphoff saß ganz gerade. Auf dem schweren Eichenstuhl, an dem schweren Eichentisch, vor der schweren Eichenschrankwand sah sie klein und verletzlich aus. Sie erinnerte Viktoria an einen Rehpinscher. Nervös blickte sie abwechselnd sie, Mario und die Wohnzimmertür hinter ihm an. Mario verdrehte genervt die Augen. Was für ein beschissenes Wohnzimmer, was für ein beschissener Auftrag. Hier in diesem dunklen Raum würde sein Blitz ganze Arbeit leisten müssen. Die schweren Möbel, die langen Gardinen an dem großen Fenster zum Garten, die schwache Glühbirne in dem dunkelgrünen Lampenschirm, der über dem Esstisch hing – alles, aber auch alles hier, sperrte die Sonne und das Tageslicht aus. Hell waren nur die blonden Strähnchen in Elisabeth Upphoffs Haar und die überall verteilten weißen Spitzendeckchen, auf denen abwechselnd mal ein Gesteck, ein Zierteller oder eine Blumenvase stand. Viktoria saß der schüchternen Hausfrau gegenüber und rührte in der Zwiebelmusterkaffeetasse. Das Porzellan klirrte leise. Mario fummelte am Tischende an seiner Kamera herum.
»Haben Sie die alle selbst gehäkelt?«, fragte sie mit Blick auf eines der Deckchen vor ihr. Sie wollte nett sein. Elisabeth Upphoff tat ihr fast schon leid, so nervös, wie sie war.
»Ja, ja. Das war ich.«
»Meine Güte, was für eine Arbeit. Und wie filigran.« Viktoria berührte die Handarbeit und tat so, als würde sie die Häkelei fachmännisch begutachten. Mario schüttelte den Kopf und atmete hörbar aus.
»Ist ’ne Menge Arbeit. Aber im Grunde genommen kann das jeder, der genug Zeit hat. Sie könnten das auch.«
»Nein, das glaube ich wirklich nicht. Ich habe viel zu wurstige Finger dafür.«
Mario lachte kurz auf. »Das stimmt.«
Danke, dachte Viktoria und hätte ihm am liebsten vors Schienenbein getreten. Sie blickte aber weiter – ganz Profi – in das Gesicht ihres Gegenübers, und tatsächlich: Elisabeth Upphoff entspannte sich etwas und lächelte beinahe. Wahrscheinlich weil sie ihre zarten schmalen Hände mit Viktorias Wurstfingern verglich.
»Also«, Viktoria konnte endlich anfangen, »jetzt erzählen Sie doch mal von Anfang an, Frau Upphoff. Wieso wollten Sie unbedingt Schützenkönigin werden? Wollten Sie beweisen, dass Sie genauso gut schießen wie häkeln?«
Sie schüttelte
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