Schützenkönig
am Revers, spielte nervös mit seiner rechten Hand an der Jackentasche, in der linken hielt er den Zettel, von dem er ablas. Kündigte den Musikzug an. Sie schritt zwischen Bänken und Tischen entlang, hielt sich in ihrem sandfarbenen engen T-Shirt gerade. Sie wusste, dass der braune Rock ihr gut stand, die Schuhe, Sandaletten mit Fünf-Zentimeter-Absatz, klackten auf den rustikalen Dielen. Sie tat so, als merkte sie nicht, dass einige sie anstarrten. Sie ging noch ein bisschen gerader. Es machte Spaß. Das Stolzieren.
»O là là, Püppi, Näschen wieder ganz oben, was?!« Viktoria fühlte sich ertappt. Sollte sie den blöden Spruch ignorieren? Oder sollte sie dem unverschämten Schützenbruder eine reinhauen? Sie entschied sich für eine Zwischenlösung, blieb stehen und drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. An dem Tisch saßen drei Männer, alle älter als siebzig. Ihre leer gekratzten Kuchenteller standen vor ihnen, daneben ein paar ausgetrocknete Schnapsgläser. Sie trat auf sie zu. Der hagere Opa in der Mitte schaute sie mit glasigen Augen an und schüttelte den Kopf. »Tut mir leid, junge Frau. Ich habe Sie glatt verwechselt. Kannte mal ’ne Püppi.«
»Was für ein entzückender Name«, sagte Viktoria ironisch.
»Sie war vor allem eine entzückende Person. Hey, Josef …« Der Hagere stieß seinen rechten Nachbarn an, der gebannt auf den Minirock-Aufmarsch des Musikzuges starrte. »Sieht die Dame hier nicht aus wie Püppi?«
Der Sitznachbar schaute nur kurz in Viktorias Richtung. »Ich weiß nicht. Zwanzig Zentimeter kleiner und zehn Prozent hübscher – dann könnte es hinhauen.«
Das saß. Er hatte es nicht einmal böse gemeint, sondern ganz sachlich festgestellt. Beleidigen können die hier echt gut, fand Viktoria. Egal, sie hatte zu arbeiten. »Wie dem auch sei«, sagte sie gefasst. »Ich bin keine Puppe, sondern Viktoria Latell. Ich bin vom Berliner Express und mache eine Geschichte über Ihr erstes Schützenfest nach dem Amoklauf …«
»Ach, Sie meinen wegen des kleinen Ausrasters der ollen Upphoff-Emanze. Glauben Se mir, es wird so sein wie immer, das Schützenfest. Das lassen wir uns nicht kaputt machen. Und schon gar nicht von ’ner Frau!« Viktoria schrieb mit: »Alte Machos wollen sich Schützenfest nicht von einer Frau kaputt machen lassen.«
Sie ging zu den anderen Tischen. Der graue Alfred, der am Mittag noch mit Mario in der Kneipe gewürfelt hatte, winkte ihr und sah dabei erstaunlich fit aus. Sie steuerte auf ein paar ältere Damen zu. Vielleicht haben die Verständnis für Amok-Elisabeth, dachte sie. Doch die Golden Girls lächelten sie nur sanft an, als sie fragte, ob die es nicht gerechter fänden, wenn Frauen Schützenköniginnen werden dürften.
»Man merkt, dass Sie nicht von hier sind«, sagte die eine, und es klang nett. So als könne Viktoria, das arme Ding, nichts dafür, dass sie so dämliche Fragen stellte.
Doch sie blieb dran, wollte die Emanze in den Damen aufwecken: »Frauen können doch genauso gut schießen wie Männer. Warum sollten sie also nicht auch Königinnen werden?«
»Weil sie bereits Königinnen sind. Von Geburt an«, sagte die Alte mit den weiß-lila Haaren und nahm einen sehr würdevollen und kräftigen Schluck aus ihrem Likörglas. Der Trommelwirbel des Musikzuges setzte ein.
Viktoria nickte den Damen zu und suchte bei ohrenbetäubender Marschmusik nach Mario.
Beinahe hätte sie ihn nicht erkannt, so klein und zierlich sah er zwischen den beiden großbusigen Frauen in den noch viel größeren Seidenblusen aus. Die Matronen hatten den schmächtigen Fotografen offenbar dafür auserkoren, die Tortenreste zu vertilgen, und fütterten ihn jetzt abwechselnd mit Rhabarberkuchen, Marzipantorte und Apfelstrudel. Mario saß zufrieden an einem Tisch in der hintersten Ecke und nickte anerkennend mal der einen, dann der anderen Frau zu. Pascha, dachte Viktoria. Sie trat vor das Zelt, die Marschmusik wurde erträglich leiser, und tippte die Nummer von Upphoffs in ihr Handy. Doch statt eines Freizeichens sah sie nur »Netzsuche« im Display.
»Probleme?« Der Glatzkopf von den Telgter Nachrichten stand plötzlich neben ihr, um seinen Hals baumelte eine Kamera.
»Scheißempfang …«, sagte sie.
Er reichte ihr sein Handy.
»Danke. Ich fasse mich auch kurz.«
Sie hatte Glück, es nahm jemand ab.
»Ja, Upphoff.« Ein lautes Rauschen war im Hintergrund zu hören. »Kleinen Moment noch.« Das Geräusch verstummte. »Entschuldigung –
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