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Schützenkönig

Schützenkönig

Titel: Schützenkönig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Jäger
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heftig den Kopf. »Um Gottes willen, nein. Ich habe noch nie geschossen. Ich mag keine Gewehre.«
    »Ja, aber um Königin werden zu können, hätten Sie doch den Vogel treffen müssen.« Viktoria war ratlos.
    »Ja, hätte ich.« Elisabeth war jetzt ganz kurz angebunden.
    »Und?« Viktoria blickte sie aufmunternd an.
    »Und was?« Ein wenig Trotz klang in ihrer Stimme mit.
    »Na, wie hätten Sie Königin werden können, wenn Sie gar nicht schießen wollten?«
    »Gar nicht«, sagte sie. Und dann noch einmal ganz leise: »Gar nicht.« Sie senkte den Blick. Dann schaute sie Viktoria plötzlich direkt an, ohne jede Scheu. Die Worte sprudelten nur so aus ihrem Inneren: »Vielleicht verstehen Sie mich, Sie sind auch eine Frau …« Mario hob den Kopf neugierig, als sei das eine Neuigkeit für ihn. Elisabeth bemerkte nicht, dass er langsam die Kamera auf sie richtete. Gleich würde sie zusammenbrechen, das wusste er. Fotografeninstinkt.
    »Was würde ich dafür geben, dass das alles ein Ende hat. Ich war doch nur so unendlich enttäuscht. Ferdi, also Ferdinand, mein Mann, er hat unseren Tag vergessen. UNSEREN TAG!«
    »Den Hochzeitstag?«
    »Ja, genau. Unseren Hochzeitstag. Den siebenundzwanzigsten. Sind Sie verheiratet?«
    »Nein.«
    »Haben Sie einen Freund?« Viktoria überlegte, Mario schaute sie neugierig an.
    »Nun ja, sagen wir: Ich weiß nicht. Nein.« Mein Gott, ich stammele ja, dachte Viktoria und riss sich zusammen.
    Elisabeth Upphoffs Stimme klang brüchig. »Dann wissen Sie nicht, wie das ist. Wenn man jemanden so sehr liebt, dass man ständig Angst hat, ihn zu verlieren. Wenn man sich für ihn verändert, aber ganz unauffällig, damit er es nicht so direkt merkt. Wenn man Dinge tut, die man sonst gar nicht tun würde – nur um ihm zu gefallen.«
    »Ja, häkeln Sie denn nicht gerne?« Viktoria fiel nichts Besseres ein, Marios rechte Augenbraue hob sich tadelnd.
    »Ich hasse Häkeln!«
    »Was?!« Damit hatte Viktoria nicht gerechnet. »Sie hassen Häkeln? Aber warum liegen dann hier überall …«
    »Ja, ich hasse Häkeln. Ich hasse weiße Spitzendeckchen. Sie sind kitschig und überflüssig, nichts als lästige Staubfänger.« Elisabeths Stimme war nun ganz klar und fest. »Trotzdem habe ich Stunde um Stunde daran gesessen. Und ich habe es getan, weil er es gern hatte. Er hat immer gesagt: ›Die Deckchen erinnern mich an früher, nur dass du sie noch viel schöner machst als meine Mutter.‹ Wenn Besuch da war, hat er stolz erzählt, dass alle Deckchen ›Made by Elli‹ seien – und ich wollte doch, dass er stolz auf mich ist. Und wenn wir abends vorm Fernseher saßen, hat er immer so schön zu mir rübergelächelt, wenn ich mit meiner Häkelnadel hantiert habe. Ich glaube, er liebte diese Gemütlichkeit – und ich habe sie ihm gegeben. Weil ich ihn …« Jetzt wurde ihre Stimme wieder brüchig. »Weil ich ihn wirklich liebe.«
    Viktoria schämte sich für Elisabeths Ausbruch, oder war sie gerührt? Sie räusperte sich. »Ähm. Und die Sache mit der Schützenkönigin?«
    Elisabeths Antwort kam blitzschnell: »Würde ich am liebsten rückgängig machen. Damit ging der ganze Horror ja erst richtig los, und am Ende habe ich mich zum Affen gemacht, ich bin doch keine Amokläuferin. Aber irgendwie kam eins zum anderen …«
    »Was ist eigentlich genau passiert?«
    »Ich war so unendlich enttäuscht, dass er unseren Hochzeitstag vergessen hatte. Ich hatte alles vorbereitet, die Uhr seines Großvaters reparieren lassen. Dann ist er auch noch mit einer Schnapsfahne nach Hause gekommen, weil die Schützenbrüder mal wieder wichtiger waren als ich, und dann hat er sich nicht mal entschuldigt.« Viktorias Blick fiel auf das Hochzeitsfoto, das in der Eichenschrankwand in einem silbernen Rahmen stand. Ein hübsches Paar, dachte sie. Erinnert mich an irgendwen.
    »Sieht er nicht aus wie James Dean?«
    Viktoria nickte, obwohl sie das nicht fand. Der Mann auf dem Foto sah aus wie ein hübscher Halbstarker, der sich Pomade ins Haar geklatscht hatte, um auszusehen wie James Dean. »Er hat also den Hochzeitstag vergessen, und Sie waren wütend …«
    »Mehr als wütend. Es war irgendwie, als hätte sich etwas ganz Großes angestaut und der Staudamm brach. Auf einmal kam alles hoch, wie bei einer Flut, die einfach nicht aufhören will zu steigen. Jedes Spitzendeckchen, das ich ihm zuliebe gehäkelt hatte, jede Waschmaschine, die ich mit seiner Unterwäsche gefüllt habe, jede Windel unserer Kinder, die ich irgendwann einmal

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