Schützenkönig
Staubsauger.«
»Kein Problem, Frau Upphoff. Mein Name ist Viktoria Latell. Ich komme vom Berliner Express und würde mich gerne mal mit Ihnen unterhalten.«
»Oh.« Es klang erschrocken. »Muss das sein?«
Sie merkte, dass die Hausfrau nicht wollte, aber zu höflich war, einfach aufzulegen. Viktorias Chance.
»Nur ganz kurz, Frau Upphoff. Ich wäre in ein paar Minütchen bei Ihnen und dann bin ich auch schon fast wieder weg …«
»Ich weiß nicht.« Sie wollte wirklich nicht. »Ich mache gerade sauber.«
Noch ein paar Sekunden mehr Zeit zum Nachdenken, und sie legt auf. Der nächste Telefonjoker musste her. »Wissen Sie, Frau Upphoff, jeder hier erzählt mir etwas anderes über Sie. Und Sie kommen gar nicht zu Wort, das möchte ich einfach nicht. Es wäre doch gut für Sie, wenn Sie Ihre Sicht der Dinge darstellen könnten – und nicht am Ende Sie die Böse sind.« Dieser Trick klappte häufig und hatte schon so manchem das Zitat entlockt, das später in großen Buchstaben auf der Titelseite stand. Praktisch war, dass es, wenn es zwei zerstrittene Parteien gab – wie zum Beispiel bei jeder Prominentenscheidung –, wie ein Pingpong-Spiel hin und her ging. Erst redete sie, dann er – das perfekte Dreckwäschen-Gemisch.
Doch Elisabeth Upphoff wollte offensichtlich keine Dreckwäsche, sie war wohl eher sauber veranlagt. Und so griff Viktoria in den Zauberkasten der Journalistinnen-Notlügen, den sie die »Erniedrigungs-Taktik« nannte. Als Elisabeth Upphoff sagte: »Es tut mir leid, Frau ähm, Frau Labelle? Also es tut mir ja leid, dass Sie den weiten Weg aus Berlin gemacht haben, aber ich denke, ich werde jetzt auflegen«, da legte Viktoria mit samtweicher Stimme los.
»Ja, ich weiß, was Sie meinen, Frau Upphoff. Sie haben ja auch recht, mich geht das alles nichts an. Ich würde Sie auch so gerne zufriedenlassen, aber wissen Sie, ich mache auch nur meinen Job. Und mein Chef – unter uns gesagt kein netter Mann –, der macht total Ärger, wenn ich nicht wenigstens mit Ihnen gesprochen habe. Sie müssen ja nicht viel sagen, nur so viel, dass ich später sagen kann, ich habe mit Ihnen geredet. Das würde mir schon reichen.«
Es klappte. Viktoria hatte sich zur kleinen Maus gemacht, und fünfzehn Minuten später konnte sie Elisabeth Upphoff treffen. Die beschrieb ihr den Weg zu ihrem Einfamilienhaus in der Siedlung, deren Straßen alle Baumnamen hatten, und legte auf.
Der Kollege von den Telgter Nachrichten grinste breit, als Viktoria ihm das Handy wiedergab. »Genauso habe ich mir das bei euch vorgestellt.«
Sie zuckte mit den Schultern. Eine Ethikdiskussion war das Letzte, worauf sie jetzt Lust hatte. Sie lenkte ab. »Ich schau mal, wie es Mario geht. Der ist gerade bei der Fütterung. Und ich habe den Verdacht, dass er gemästet werden soll – bevor die Kuchendamen ihm also das Bolzenschussgerät zur Schlachtung auf den Kopf setzen, werde ich mal nach dem Rechten sehen.«
Gregor lächelte und nickte. »Na, dann rette den Guten mal.« Sie wollte gerade gehen, da fiel ihm noch etwas ein: »Wegen dem Lütkehaus …«
»Ja?« Sie blieb stehen.
»Ich habe da noch mal mit einem ehemaligen Kollegen gesprochen, der inzwischen pensioniert ist. Der ist ungefähr genauso alt wie der Lütkehaus.«
Das klang gut.
»Und konnte er sich an sein Verschwinden erinnern?«
»O ja. Er sagte, es hätte ihn immer gejuckt, da genauer nachzuforschen. Denn er hat die Version mit dem Auswandern nie geglaubt.«
Viktoria kam einen Schritt näher. »Warum nicht? Hat er das Bernhard Lütkehaus nicht zugetraut?«
»Doch, doch, das haben ihm alle zugetraut. Und es liegt auch nahe, da Lütkehaus selber immer gesagt hat, dass er irgendwann mal wegwolle und Australien das Land seiner Träume sei.«
»Aber?«
»Mein Kollege ist selber Australienfan und hat sich oft mit Lütkehaus darüber unterhalten. Die beiden kegelten zusammen im gleichen Verein. Ja, und irgendwann hat sich mein Kollege richtig freistellen lassen vom Verlag, drei Monate lang reiste er durch Australien. Er wusste, wie gerne Lütkehaus an seiner Stelle gewesen wäre, doch er hatte nicht genug Geld für so eine Reise. Klar, dass mein Kollege dem Daheimgebliebenen eine Postkarte schrieb: ›Gräme Dich nicht! Auch Du kannst und wirst bald hier sein.‹ Eine Kängurufamilie war auf dem Bild zu sehen.«
»Nicht besonders originell, aber bis dahin finde ich das alles ganz normal.« Viktoria klang skeptisch.
»Das ist es auch. Aber irgendwann, es muss kurz
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