Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
liegt es daran, dass Gott nichts von mir
erwartet, manche Männer hingegen schon. So erscheint es mir jedenfalls hin und
wieder.
Wenn ich intensiv an ihn denke, fühle ich mich geborgen und
beschützt. Nur leider vergesse ich ihn so oft. Er gleitet zuweilen aus meinem
Bewusstsein heraus. Besonders im Alltag.
Aber jetzt ist kein Alltag um mich herum, ich befinde mich
in seiner Kirche, nämlich der Natur und er ist da. Ich kann ihn fühlen.
Ein kleines rotes Auto fährt vorbei. Vorbei. Leider! Hatte
brav den Daumen raus gestreckt, aber da saß eine Frau am Steuer, die
offensichtlich in heftige Diskussionen mit ihrem Beifahrer verwickelt war.
Womöglich hatten die gerade einen Streit und wollten keine Zeugen.
Macht nichts! Wird schon noch eines kommen. Viel ist ja
nicht los, auf der Straße ohne Namen, aber wenn ein Auto kommt und mich
mitnimmt, reicht mir das.
Ich gehe weiter. Inzwischen habe ich andere Probleme, als
einen Rucksack, der mir auf die Hüfte drückt und Füße, die schmerzen. Es beginnt
dunkel zu werden, in dieser unwirklich trüben Stille, in der man problemlos
einen Gruselfilm drehen könnte. „Das Monster aus dem Nebel“ oder „Der Killer
auf dem Pilgerweg“ und es fahren keine Autos. Nicht einmal vorbei. So schnell
können sich Perspektiven ändern, denke ich und sehe einen wunderschönen Stein
im Straßengraben liegen.
Während ich mich bücke um den Stein aufzuheben, ich hab ja
eh so wenig Gepäck zu tragen, als das ich dieses Steinchen nicht auch noch
brauchen könnte, taucht ein Auto aus der Nebelwand auf.
Ein schöner, großer, neuer Mercedes Van. Sehr elegant, denke
ich und halte den Daumen raus. Der Fahrer schüttelt den Kopf, drosselt aber
seine Geschwindigkeit und fährt ganz langsam an mir vorbei.
„Ja was nu? Willst du jetzt vorbeifahren oder mich
mitnehmen?“
Ich winke etwas eindringlicher mit meinem Daumen und da sehe
ich, wie ein anderer Mann, vom Beifahrersitz aus, mit der Kamera auf mich hält.
„Super! Filmen kannst du mich, aber anhalten magst nicht,
oder was?“ Dann hält der Wagen an und die Schiebetür geht auf. Sie nehmen mich
mit. Standesgemäß, wenn ich mir diese Bemerkung erlauben darf.
Ich freue mich riesig und ich stelle mich vor: „Hallo, ich
heiße Rosa. Könnt ihr mich bitte mitnehmen, irgendwohin wo es trocken und warm
ist? In Foncebadón sind alle Herbergen voll und ich weiß nicht, wie es mit den
nächsten Herbergen aussieht.“
Sie stellen sich ebenfalls vor: In der Mitte sitzt Javier,
Mitte 30 und ziemlich sexy. Er ist der Regisseur dieses Fernsehteams. Neben ihm
sitzt die Produzentin Manuela, sie dürfte so in meinem Alter sein und hinten
sitzen zwei ältere Herrschaften, die sagen nicht viel. Javier und Manuela sind
sehr an meinen Beweggründen interessiert, die mich diesen Weg gehen lassen. Sie
kommen aus Italien und drehen für Canale 4 eine Reportage über den Camino.
Manuela spricht Italienisch und etwas Englisch, Javier
spricht Spanisch, Italienisch und etwas Deutsch. Ich spreche Deutsch, Englisch,
etwas Spanisch und wenig Italienisch.
Und genau in diesem Sprachenwirrwarr unterhalten wir uns
sehr angeregt.
Sie haben viele Fragen an mich und wollen wissen, warum ich
diesen Weg gehe.
Ich erzähle ihnen, dass ich für Sabine und ihren Krebs gehe,
für meinen Geliebten und für mich. Das mir das Pilgern wahnsinnig gut gefällt,
weil es so viel Raum für Überraschungen bereit hält und man nie weiß, was im
nächsten Moment passiert.
„So wie jetzt. Ich habe doch ein wahnsinniges Glück, von
euch aufgegabelt worden zu sein.“
Was ich beruflich mache, will Manuela wissen. Das ist eine
schwierige Antwort, denn eigentlich mache ich vieles, aber zur Zeit nichts
wirklich intensiv. „Sono Astrologa“, das ist das einzige, was mir auf
Italienisch einfällt und es stimmt ja auch. Unter anderem bin ich Astrologin.
Nein, katholisch bin ich nicht, aber ja, ich glaube an einen
Gott. Die Kamera ist immer schön auf mich gerichtet und ich bin mir sicher,
dass sie mein internationales Sprachenmischmasch später mit Untertiteln
unterlegen müssen. Das versteh’ ja selbst ich kaum noch.
Am eisernen Kreuz halten sie an und der Kameramann steigt
aus, um zu filmen. Ich krame den großen, schwarzen Stein, der Susannes Krebs
symbolisiert aus meiner Hosentasche und lege den TV gerecht auf dem großen
Haufen Steine unter dem Kreuz ab. Dann wünsche ich mir, dass das der gesamte
Krebs von Susanne ist. Mit allen Krebszellen und Metastasen und was sonst
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