Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
große
Gemeinschaft der Pilgernomaden aufgenommen, in der man tolerant und großzügig
ein Ziel verfolgt: Das Grab des Apostels Jakobus in Santiago de Compostela zu
erreichen.
Es wird dunkel und damit langweilig. Zu lesen habe ich
nichts dabei und so lege ich mich ins Bett. Bevor ich jetzt irgendetwas tue,
kann ich genauso gut schlafen.
Tag 4:
von Cacabelos bis Ruitelan
Als ich aufwache, ist es noch tiefste Nacht. Meine
Sehschärfe hat begonnen, mich zu verlassen, deshalb kann ich ohne Brille meine
Uhr nicht mehr lesen. Ich muss warten bis es dämmert. Als die Dämmerung endlich
einsetzt, schleiche ich mich so leise wie möglich aus dem Schlafkabuff.
Chantalle wird trotzdem wach und fragt mich warum ich schon aufbreche.
„Ich bin wach und es wird hell“, flüstere ich zurück, „dann
kann ich auch los.“
Es dämmert sehr langsam als ich den Ort verlasse und
eigentlich ist es noch recht dunkel. 50 m hinter mir geht ein anderer Pilger.
Die Straßenlaternen sind an, es gibt also keinen Grund sich zu fürchten. Weil
ich mein Pilgerhandbuch meistens nur überfliege und wenn ich einmal etwas genau
lese, das Gelesene gleich wieder vergesse, biege ich falsch ab. Zum Glück
bemerke ich das recht schnell, denn der Pilger hinter mir bog richtig ab und
war dann eben nicht mehr hinter mir.
Schnell schaue ich noch einmal in mein Büchlein, erkenne
meinen Fehler und kehre um. Wer weiß ob ich so schnell bemerkt hätte, dass ich
falsch bin, wenn dieser eine Pilger nicht so knapp hinter mir gegangen wäre. So
früh am Morgen.
Es hat doch immer alles einen Sinn, wenn man das auch nicht
gleich bemerkt.
Während die Sonne langsam über den Horizont steigt, geht
mein Weg durch wunderschöne Weinberge. Das muss man sich mal vorstellen: Sanfte
Hügel im Licht der Morgensonne und ich wandere mitten hindurch. Das ist so
sagenhaft schön, dass man dazu echt nichts mehr braucht. Die puren
Glücksgefühle steigen in mir auf und ein paar Tränen der Rührung füllen mein
Auge. So herrlich und wunderschön ist das…!
Der Weg durch die Weinberge ist lang und somit habe ich die
Freude, die Schönheiten des frühen Morgens lange und ausgiebig genießen zu
können.
Irgendwann beginnt mein Magen zu knurren und ich finde eine
Garage, in der Kaffee ausgeschenkt wird. Es gibt auch Kuchen und Kekse,
Erfrischungsgetränke und spanische Volksmusik. Der frühe Sonntagmorgen könnte
nicht perfekter sein.
Heute ist der Tag des „Camino duro“. Der harte Weg, von
welchem es zwei Varianten gibt. Entweder den nicht so harten Camino an einer
Straße entlang, oder den steileren und härteren durch die Wälder.
Während ich in das noch völlig verschlafene Villafranca del
Bierzo einlaufe, begegnet mir eine junge Frau. Ich grüße sie, sie grüßt mich
nicht.
„Blöde Kuh“, denke ich und gehe weiter.
Die Pilgergemeinschaft grüßt sich nämlich immer mit den
Worten „buen Camino“ und wünscht sich damit einen guten Weg. Nur dieses dürre
Ding läuft, ohne mich eines Blickes zu würdigen und mit erhobenem Haupt,
einfach an mir vorbei.
An der nächsten Kreuzung laufen wir wieder aufeinander zu.
Eine von uns beiden läuft demnach in die falsche Richtung, oder im Kreis herum.
Jetzt bin ich auch arrogant, krame mein Büchlein aus der Tasche und schaue
hinein, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Offensichtlich hat sie keinen
Reiseführer, denn jetzt kommt sie auf mich zu und fragt mich höflich nach dem
Weg. Na bitte, geht doch.
Wieder versöhnt erkläre ich der Engländerin, dass es hier
zwei Wege gibt. Den Camino duro oder den der Straße entlang. Sie „wandert nach
Gefühl,“ erklärt sie mir und ihr Gefühl sagt ihr, dieser Weg sei der richtige.
„Gut“, sage ich, „dann nehmen wir diese Richtung“.
Gefühle und Intuitionen, das habe ich in meinem langen Leben
immer wieder feststellen dürfen, täuschen dich oft weniger, als kopflastige
Informationen. Allerdings scheint das Mädel hier noch etwas mehr üben zu
müssen. Denn während wir in die Richtung gehen, von der sie fühlte, dass es der
richtige ist, kommt uns ein gelber, auf die Straße gepinselter, Pfeil entgegen,
der genau in die andere Richtung zeigt.
Ich sage: „Seit ich unterwegs bin, haben diese Pfeile immer
gestimmt. Denen gehe ich mal nach“, und so drehe ich auf dem Absatz um und gehe
wieder zurück. Sie kommt mit mir, redet aber sonst kein Wort. Entweder ist sie
eine echt eingebildete Tussi oder ein gigantischer Morgenmuffel.
Jetzt beschleunigt sie grußlos
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