Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
die wärmenden Sonnenstrahlen
auf der Haut und versuchen uns zu unterhalten. Leider spreche ich kein
Französisch und sie nur sehr gebrochen Englisch.
Sie ist vor 2 Monaten in Le Puy gestartet, wo immer das auch
sein mag und seit über 1000 km unterwegs. Ich wiederhole in Worten: Seit ü b
e r tausend Kilometern! Zu Fuß!
„Bist du ganz alleine auf dem Weg?“, fragt sie mich, „ist
das kein Problem?“
„Nein“, antworte ich, „überhaupt kein Problem“, (bin ja erst
seit 3 Tagen unterwegs)
Dann erzählt sie mir in brüchigem Englisch und mit Händen
und Füßen, dass der Mann, dem sie sich angeschlossen habe, ihr eigentlich viel
zu schnell gehe, sie sich aber nicht traut, alleine weiter zu gehen. Deshalb
passe sie sich an, obwohl ihre Füße das nicht gut vertragen würden. Eigentlich
tue ihr alles weh. Die Knie, die Hüfte, die Schultern…“, und sie lächelt
gequält.
Sie beginnt ihre Schuhe auszuziehen. Solch ein Gedankengut
liegt nun gar nicht in den Möglichkeiten meiner Vorstellung. Mit einem Menschen
zu gehen und mich ihm anzupassen, obwohl mir ganz klar ist, dass er mir nicht
gut tut? Käme mir niemals in den Sinn und wieder einmal bin ich froh, dass ich
alleine pilgern kann.
Als Chantal ihre Füße aus den Schuhen pellt, kommen mir
fast die Tränen. Blutunterlaufene Fußnägel, Blasen in allen Stadien und offenes
Fleisch sind über ihre beiden Füße verteilt. Auf den Fußrücken hat sie
wundgescheuerte Stellen und sogar blaue Flecken!
Was muss diese Frau für Schmerzen ertragen, nur damit sie
nicht alleine gehen muss? Die Haut sieht schlimm aus, aber ich glaube die
Fußknochen innen drin tun nicht weniger weh.
Sie cremt ihre Füße ausgiebig ein um Infektionen zu
verhindern und die Schmerzen zu lindern.
Mensch Mädel, was kann einem schlimmeres auf dem Weg
passieren, als mit solchen Füßen, jeden Tag gehen zu müssen? Da wäre ja ein
Überfall schon fast harmlos dagegen, falls du dich davor fürchtest, denn der
ist schneller vorbei, als diese Tortour.
Warum auch immer ich auf diesem Weg gelandet bin, Chantal
ist hier, um sich aus Abhängigkeiten zu befreien und alleine ihren Weg zu
gehen.
Daran habe ich keine Zweifel mehr.
Gerade als ich ins Dorf gehen will um etwas zu essen, kommt
die Seniorengruppe vom Vormittag eingelaufen. „Oh je“, denke ich, „nicht auch
das noch.“
Wie gesagt, kennen tu’ ich diese Menschen nicht, aber ein
heftiges Urteil fällen kann ich trotzdem.
Ich verschiebe meinen Gang ins Dorf auf später, setze mich
wieder auf die Stufe der Arena und beobachte belustigt diese älteren
Herrschaften. Die große, Lange mit dem knallorangenen Lippenstift heißt Karin
und hat das Kommando. Sie brüllt quer über den ganzen Kirchplatz, dass jetzt
die Wäsche gewaschen werden würde und mal bitte alle ihre Schmutzwäsche zur
Waschmaschine bringen möchten.
Wenige Minuten spätern wackeln drei der Damen in Unterwäsche
und im Gänsemarsch über den Kirchplatz. In den Händen tragen sie brav ihre
Schmutzwäsche. Nicht lange danach kommt der Herr, er heißt Heinz, ebenfalls in
Unterwäsche an mir vorbei geschlurft. Ich muss dringend woanders hinschauen,
denn das sieht so ulkig aus, dass ich mir ein fettes Grinsen nicht verkneifen
kann.
Die älteren Herrschaften hören vermutlich nicht mehr so gut,
denn sie brüllen laut und gerne auch quer über den ganzen Kirchplatz. Diese
Vorstellung ist so grotesk und lustig, das ist besser als jede Comedyshow, die
ich kenne.
„Musst du denn immer so herumbrüllen“, schreit Kommando-Karin
die Dame mit der Brille an.
„Tut mir Leid, ich habe so ein lautes Organ“, schreit sie
zurück.
Als nächstes brüllt Karin die Gemeinschaft zur Gymnastik
zusammen. Ein paar kommen, um sich nach Karins Anweisungen im Kirchhof zu
dehnen. Eigentlich rudern sie nur mit den Armen, aber irgendwie muss die
überschüssige Energie ja raus. So scheint es mir zumindest.
Dann beginnt Karin ihre Wanderschuhe zu bürsten. Sie hat
tatsächlich eine Schuhputzbürste dabei, die sie den ganzen Weg mit sich
herumträgt.
Also ich habe ja an Vieles gedacht, was man so auf dem Weg
brauchen könnte, aber auf eine Schuhputzbürste wäre ich im Leben nie gekommen.
Sie brüllt zum nächsten Appell: „Wer seine Wanderschuhe
bürsten möchte, soll bitte herkommen, ich habe hier die Bürste.“
Das Interesse an gebürsteten Schuhen scheint sich in Grenzen
zu halten, denn die Resonanz ihrer Mitpilger darauf ist gleich Null.
Jetzt kommt die Dame mit der dicken
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