Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
einfachen Refugios und
den vielen Metern von Bocadillos die mich versorgt haben, ist diese Pension am
Ende einer Straße, im galizischen Nirgendwo, an einem See, das Paradies auf
Erden.
Stelle fest, dass das Leben entspannter vorangeht, wenn man
sich keine Zeitziele setzt. Ziele, die zu einer bestimmten Zeit erreicht werden
sollen, erzeugen Druck. Erst wollte ich am heiligen Pfingstsonntag in Santiago
einlaufen, dann am Montag und jetzt wird es aller Voraussicht nach, Dienstag
werden. Egal. Das Leben ist schön. Das Ziel gibt die Richtung vor, die Zeit
bestimmt den Genuss und damit die Qualität. Die Wäsche ist hier schneller
getrocknet als gewaschen.
Liege total entspannt in meinem Lieblingsliegestuhl und
strecke mein Bäuchlein in die Luft. Ich bin so total wahnsinnig zufrieden. Wer
hätte gedacht, dass Pilgern auch so sein kann?
Haben Reisende eigentlich auch einen Heiligen? Vermutlich
nicht. Wer immer unterwegs ist, baut weder Brücken noch Hospitäler oder Heime,
um für die Armen und Kranken zu sorgen. Das machen nur die Sesshaften.
Ob Zigeuner einen Heiligen haben? Bestimmt.
Gab es mal einen Zigeuner, der heilig gesprochen wurde?
Bestimmt nicht.
Tag 11,
Pfingstsonntag
vom Liegestuhl an den Esstisch, dann ins Bett und wieder
zurück
7.30 Uhr
Normalerweise wäre ich jetzt schon wieder auf dem Camino. Es
ist zur Gewohnheit geworden, im Morgengrauen aufzustehen, das wenige Zeug
zusammenzupacken und los zu gehen. Heute nicht. Heute bleibe ich quer in meinem
King Size Doppelbett ohne Ritze liegen und schone mein Knie. Es ist zwar schon
besser geworden aber noch lange nicht gut. Da ich heute meinem Körper Ruhe
gönne, werde ich zur Abwechslung mal mein Gehirn strapazieren und mir Gedanken
machen über meine Verurteilerei und was dahinter stecken könnte. Heute stört
mich definitiv niemand. Aber jetzt gehe ich erst einmal frühstücken.
Bin schon wieder zurück. Es gibt noch gar kein Frühstück und
es ist keiner da. Entweder ist die Familie Lukas in der Kirche oder noch einmal
ins Bett gegangen. Meine Zimmernachbarinnen habe ich heute ganz früh klappern
gehört. Die sind schon wieder unterwegs und hatten auch ein Frühstück, wie ich
an den nicht abgeräumten Tellern sehen konnte.
Jeder Pilger, aber wirklich jeder, geht seinen eigenen
Camino. Dabei ist es völlig unerheblich, ob er alleine pilgert oder in einer
Gruppe, ob er den ganzen Weg über redet oder schweigt. Irgendwann kommt ein
jeder Pilger zum Ende und das Ende ist nicht immer Santiago de Compostela. Es
gibt Pilger, die brechen vorher ab, aus gesundheitlichen, persönlichen oder
anderen Gründen und es gibt Pilger, für die ist Santiago noch nicht das Ende.
Die gehen weiter nach Fisterre, Rom, Jerusalem oder sonst wohin. In jedem Falle
ist dieser Weg etwas Besonderes. So oder so und für jeden anders. Ich finde,
dass dieser Weg besondere Schwingungen hat, die auf mich wirken. Hier gibt es
Kräfte, die es nicht überall gibt und die wirken auf die Pilger. In einer
unerklärlichen, aber deutlich fühlbaren Weise.
Es wäre sehr schön, wenn ihr lieben Spanier den Weg in
seiner ursprünglichen Form belassen würdet. Leitet ihn bitte nicht um, nur weil
auf einer Parallelstraße eine Bar steht und das praktischer für die
Infrastruktur ist. Lasst ihn bitte genau so, wie er immer war.
Es ist schon unverständlich genug, dass ihr den Flughafen
mitten auf diesen heiligen, keltischen, jahrtausendealten Weg gebaut habt und
die Gläubigen einfach drumherum pilgern lasst. Die Bauherren dieses Flugplatzes
sind diesen Weg vermutlich noch nie gegangen, sonst wären sie niemals auf so
eine absurde Idee gekommen.
Ihr ehrt diesen Weg doch genauso wie ich, denn es gehört zu
euren spanischen Traditionen, mindestens einmal im Leben auf dem Camino zu
pilgern. Dann seid doch bitte so gut und erhaltet diesen Weg mit seiner
besonderen Kraft der Nachwelt. Euren und meinen Kindern und Enkeln zu Liebe.
Bitte. Danke.
Nun zu mir und meinem Thema. Das Urteilen. Das Vorurteil.
Das Vorverurteilen von Menschen, die ich nicht kenne. Heute habe ich einen
ganzen Tag Zeit, mir das Teilen oder Trennen, genau anzuschauen. Aus alter
Gewohnheit mache ich das, indem ich die Wörter zerpflücke. Manchmal komme ich
zu einem Ergebnis, welches mir logisch erscheint, manchmal nicht.
Was ist ein Ur-Teil? Ein Urteilchen? Ein Ur-Atom, welches
als die erste Zelle die Welt erschuf? Ein Urteil bei Gericht teilt dir deinen
Anteil der Schuld zu. Bekommst du einen großen Teil der Schuld,
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