Schuhwechsel: Als Hausfrau auf dem Jakobsweg
in
Galizien. Unsere betagten Herrschaften, die in den Altersheimen herumliegen und
auf Teufel komm raus nicht mehr sterben dürfen, sind im Gegensatz hierzu
nämlich überhaupt nicht zu beneiden.
Das ist nämlich genau die Generation, die über die stärksten
Gene überhaupt verfügen. Alles, was schwach und krank war, hat die Kriegszeiten
schlichtweg nicht überlebt!
Die Generation, die heute in den Pflegeheimen liegt, hat die
Kindheit im Krieg verbracht, hat Teile der Familie oder alle verloren, hat die
Heimat verloren, mussten hinterher alles wieder aufbauen und haben überlebt.
Sie haben ein Leben gelebt, welches höchsten Respekt und Achtung verdient und
damit auch ein Sterben, das mit höchstem Respekt verbunden sein sollte.
Wozu braucht eine 98-jährige, bettlägrige Oma noch eine neue
Hüfte? Oder eine Magensonde? Jedes Tier und jeder in der Natur lebende Mensch,
der den Tod nahen fühlt, hört auf zu essen und zu trinken. Er zieht sich zurück
und schläft entspannt in den ewigen Schlaf hinein. Das ist die Natur, so ist
es. Ich kann nichts hippokratisches erkennen, wenn Menschen, die hochbetagt
sind, sich nach einem erfüllten Leben zum Sterben vorbereiten und dann eine
Magensonde verpasst bekommen, mit der ihnen noch viele Jahre ein Leben
aufgezwungen wird, dass sie nicht mehr leben wollen.
Solange eine derartig goldige Oma mit ihren Tomatenpflanzen
durch den Wald stapfen kann, sei ihr jeder Tag gegönnt. Sie hat sicherlich
keine Angst vor dem Tod, denn sie weiß, dass sie sterben darf , wenn die
Zeit gekommen ist.
Persönlich habe ich keine Angst mehr vor dem Tod. Wohl aber
fürchte ich mich vor der Art meines Sterbens. Bei der Vorstellung eines
verhinderten Sterbeprozesses in einem müffeligen Pflegeheim, gruselt es mich.
Glückliche, alte Oma im galizischen Wald am Jakobsweg.
Mein Knie wird immer schlimmer. Meine Pilgergeschwindigkeit
hat sich auf unglaubliche 2 Kilometer pro Stunde reduziert. Inzwischen hinke
ich und mache an jeder Ecke eine Pause. Keine Ahnung was das ist. Fühlt sich
dick und geschwollen an. Laut meinem Pilgerführer sind es noch 3 Kilometer bis
zur nächsten Pension. Es ist aber schon nach 15.00 Uhr und freie Zimmer wird es
keine mehr geben.
Na dann. Wird es halt wieder schwerer. Was will man machen?
Ich denke an all die anderen Pilger, die deutlich älter sind
und deutlich mehr Kilometer als ich zurückgelegt haben und es trotzdem nach
Santiago geschafft haben. Mit der Kraft ihres Glaubens oder weil sie einfach
zäher sind oder mehr Disziplin haben als ich.
Und dann sehe ich wieder einen Grabstein am Wegesrand. In
letzter Zeit gibt es die öfters. Pilger, die auf diesem Weg während des
Pilgerns einfach gestorben sind. Das stelle ich mir schön vor. Die Seele
wandert vom Weg der Sterne direkt hinauf zu den Sternen.
Seit es Viagra gibt, werden Männerwünsche, das Sterben
betreffend, ebenfalls deutlich öfters erfüllt als vorher, fällt mir gerade ein.
Die bekommen einfach während sie vögeln einen Herzinfarkt und der letzte
Atemzug war ein lustvolles Stöhnen.
Alles ist besser als ein Siechtum im Pflegeheim.
Mein Knie tut saumäßig weh.
Endlich. Da hinten taucht eine Bar auf, die in meiner
Pilgerfibel noch nicht eingezeichnet ist. Sehr erfreulich. Jetzt gibt es erst
einmal ein Bier und dann eine lange Rast. Da ich heute vermutlich sowieso kein
Bett mehr bekommen werde und mit dem Taxi irgendwohin muss oder draußen
schlafe, habe ich keine Eile mehr. So kurz vor dem Ziel ist normales Pilgern eh’
nicht mehr möglich.
Draußen, auf der Terrasse vor der Bar, sind alle Plätze
belegt. Deshalb gehe ich hinein und bestelle mir am Tresen ein eiskaltes Bier.
Mir fällt eine junge Deutsche auf, die gerade lachend durch die Tür kommt. Sie
hat ein bandagiertes Knie und ich spreche sie an:
„Hi! Sag mal, was ist mit deinem Knie passiert? Meines tut
seit ein paar Tagen höllisch weh und ich kann fast nicht mehr gehen.“
Sie lacht und sagt: „Oh, das wird ein Pilgerknie sein. Das
ist ganz normal auf dem Camino und kommt durch die Überanstrengung der Bänder.“
Dann ruft sie ihren Freund zu sich: „Du Schatz, kannst du
mir mal bitte das Voltaren reichen? Die Frau hier hat auch ein Pilgerknie.“
Der Schatz kommt, gibt ihr eine große Tube Voltaren und sie
beginnt großzügig mein Knie damit einzureiben. „Das ist unsere zehnte Tube. Wir
brauchen endlos viel von dem Zeug. Aber es hilft.“
Ganz klar hilft es. Ich könnte so eine Tube wirklich auch
sehr gut
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